Jeanne, seine Mutter, war die dritte der gereiften Frauen, die an den Geschicken Henris arbeitete, und sie allein tat es um seinetwillen. Daher vertraute sie auch nur sich selbst, und durchaus nicht der Aufrichtigkeit der beiden anderen Königinnen. Sie ging allerdings zu dem Grafen von Nassau auf seinem Schmerzensbett, weil sie schon seit Tagen davon hörte, wie sehr ihr guter Freund stöhnen sollte. Sie fand ihn zwar hitzig und rot in seinen Kissen, aber eher vom Wein als vom Fieber, so schien es ihr. Dennoch ließ sie sich zuerst alles erzählen, was sein Kumpan, der Engländer Beel, ihm Schönes beigebracht hatte für sie: den Einbruch in der spanischen Gesandtschaft, die gefundenen Beweise, daß der Hof von Frankreich ein doppeltes Spiel trieb. Ihr bot man die Prinzessin als Schwiegertochter an, inzwischen aber versöhnte man sich mit Philipp von Spanien. Wie konnte Katharina dann noch die Bedingung Jeannes erfüllen und zusammen mit dem protestantischen Heer das spanische Flandern befreien!
Jeanne bedachte: ‹Von wem sollte er dies alles wissen, wenn nicht von den Engländern, die den Einbruch veranstaltet haben.› Inzwischen befühlte sie den dicken Ludovicus hinter den Ohren, auf der Stirn und fand, daß er kerngesund war. Infolgedessen ließ sie ihren Chirurgen eintreten und dem Patienten einige Mittel reichen, er mußte sie schlucken, ob er wollte oder nicht. Es dauerte nicht lange, bis der Arme ganz ungeheuer schwitzte; noch andere Wirkungen traten ein, die es Jeanne erwünscht machten, eine Weile das Zimmer zu verlassen. Als sie zurückkehrte, war ihr Opfer schon mürber, es gestand ohne Umschweife, daß ihm all seine Weisheit nur von Herrn Beel kam, und dieser war allerdings ein Agent Walsingtons. «Aber er ist mein Freund», sagte der vertrauensvolle Nassau, «und um meinetwillen dürfen Sie ihm alles glauben, Madame. Mich würde er nicht belügen.»
«Lieber Vetter, die Welt ist schlecht — außer Ihnen», bemerkte Jeanne mitleidig. Hierauf beschwor der protestantische Deutsche sie voll wirklich warmer Sorge, daß sie nur sich nicht auf die französische Heirat einlasse. Ihr Sohn würde durch diese Heirat dem Katholizismus verfallen, die Protestanten verlören ihren Führer, der Prinz dagegen gewänne nichts für sich selbst, obschon er die Religion verraten haben würde. Was wäre er denn als Gatte der Prinzessin von Valois? Noch längst nicht König von Frankreich. «Anderswo aber» — hier machte Nassau eine schwerwiegende Pause, «kann er König werden. Ein großer König. Seine Schwester, Ihre Tochter Catherine — Madame, sie wird gleichfalls Königin. Dies ist alles so sehr zum Vorteil der Religion, daß es schon darum wahr sein muß», setzte der Gute hinzu, «und ich glaube fest, daß der Auftrag, es Ihnen zu eröffnen, mir von Gott kommt.» Jeanne sah: seinen Beel hatte er vergessen.
Er hatte mit Inbrunst gesprochen, fiel in plötzlicher Schwäche auf sein Kissen, und die Königin Jeanne verließ ihn, nicht ohne ihn der Pflege ihres Arztes zu empfehlen. Ihr tat es leid, wie sie ihn hatte zurichten müssen, damit sie die Wahrheit erfuhr von diesem ehrlichen Menschen. Denn die Lüge bedient sich leider nicht nur der Unehrlichen.
Mit seinem letzten Atem vor der Ohnmacht hatte Ludwig von Nassau ihr noch ausdrücklich bestätigt, wer ihren beiden Kindern die Heirat und den Thron anbieten ließe: es waren Elisabeth von England und der König von Schottland — zu viel Glück auf einmal in den Augen jeder anderen Mutter.
Jeanne d’Albret fand es ganz natürlich im Gedanken an ihre eigene große Herkunft, an die Erfolge des protestantischen Heeres und die hohe Würde der Religion. Der Verdacht kam ihr nicht, daß Elisabeth ihr auf unverbindlichen Umwegen ein trügerisches Angebot machen könnte, um sie von der Verbindung mit dem Hof von Frankreich abzuhalten. Die Königin Jeanne war zu stolz, um zu glauben, daß jemand sie benutzen wollte gegen Frankreich, damit es uneinig und schwach bliebe.
Am nächsten Tag sagte sie zu Coligny: «Ich habe die ganze Nacht von Gott zu erfahren getrachtet, was in Wahrheit sein Wille ist: ob mein Sohn in England oder in Frankreich soll König werden. Was denken Sie, Herr Admiral?»
«Daß wir es nicht wissen können», erwiderte er. «Sicher ist nur der Unwille der eifrigsten Hugenotten, Ihrer besten Anhänger, wenn der Prinz, Ihr Sohn, sich mit den geschworenen Feinden der Religion verbindet. Gott aber — von ihm behaupte ich nicht, daß er dagegen ist», schloß Coligny vorsichtig.
«Er ist nicht dagegen», erklärte Jeanne mit aller Entschiedenheit. «Er hat mich wissen lassen, daß ich diese Sache ganz weltlich behandeln soll, einzig gemäß der Ehre und dem Vorteil meines Hauses, diesen halte er auch für den seinen — ließ Gott mich wissen.»
Coligny gab sich den Anschein, als überzeugte sie ihn. In Wirklichkeit mißtraute er den englischen Absichten von selbst, denn er urteilte als Soldat. Die protestantische Engländerin hätte ihm helfen müssen, Flandern von den Spaniern zu befreien, grade das aber wollte sie nicht, indessen es ihm der katholische Hof von Frankreich bereitwillig versprach. Daher war er für die Heirat des Prinzen von Navarra mit Marguerite von Valois, und wenn er Einwände dagegen erhob, dann nur solche, die Jeanne noch bestärken mußten. Jeanne führte an, die Engländer seien von jeher die Feinde dieses Landes gewesen. Coligny wollte wissen, das habe aufgehört — als ob es nicht genügt hätte, daß ein Prinz, der nach England heiratete, grade dadurch alles verlor, seine Volkstümlichkeit und seine Aussichten auf den französischen Thron.
Jeanne sagte, Elisabeth wäre zu alt, sie würde keinen Sohn mehr bekommen, ihr Gatte aber dürfte persönlich keinen Anteil an den Geschäften der Krone erhoffen. Coligny machte geltend, dann bliebe noch seine Schwester, die Prinzessin Catherine, die ganz bestimmt Kinder haben würde vom König von Schottland. Dieser aber sei der gesetzliche Erbe des Thrones von England, falls Elisabeth ohne Nachkommen stürbe. Das war nun das Letzte, was er der Mutter Henris im Ernst hätte sagen dürfen; er sah es wohl an ihrem Zorn. Ihr Henri übergangen und geopfert, ihr fröhlicher Henri vergebens gelebt, wie ein trüber Gefangener, an der Seite einer alten Königin! Hier erst erkannte sie die ganzen Folgen, wenn sie von den beiden Entschlüssen den falschen gewählt hätte.
Die zarte Jeanne sprang heftig von ihrem Sitz auf, auch sie begann durch das Zimmer zu laufen, wie Elisabeth von England, als sie vor ihrem Gesandten in so große Erregung geriet wegen ihres Nutzens. Anders diese Königin: sie kam erst außer sich, weil das Glück ihres Sohnes sich entschied.
So befahl sie dann auch mit ihrer selten gehörten Glockenstimme: «Kein Wort mehr, Coligny! Jetzt rufen Sie meinen Sohn!»
Er gab den Auftrag an der Tür weiter. Während sie aber warteten, beugte der alte Mann ein Knie vor der Frau und gestand: «Ich habe alles nur vorgebracht, damit Sie es widerlegten.»
«Stehen Sie auf», erwiderte Jeanne. «Sie haben sicher daran gedacht, daß die Königin Katharina Ihnen den Oberbefehl in Flandern verspricht. Wer aber bin ich, daß ich Ihnen Eigennutz vorwerfen dürfte. Wenn mein Sohn nach England ginge und meine Tochter nach Schottland, wäre ich nur eine Frau allein, könnte die Last der Geschäfte nicht tragen und hätte nicht Achtung noch Gehorsam zu erwarten vom Adel Frankreichs. War dies mein tiefster Grund, dann mag Gott mich richten.»
«Amen», sagte er, und beide blieben mit gesenkten Stirnen am Fleck stehen, bis der junge Henri im Zimmer war. Er trat sehr schnell ein, etwas atemlos, mit glitzernden Augen, wahrscheinlich war er einem Mädchen nachgelaufen. Jedenfalls fühlte er sich nicht gedrängt, die Taten und Gedanken seiner vergangenen Stunde vor Gott zu verantworten wie die beiden älteren Leute. Dennoch fand er sich sofort in ihre ernste Stimmung.
Die Königin Jeanne setzte sich, sie forderte auch den Prinzen und den Admiral dazu auf; noch immer suchte sie nach ihren ersten Worten. Coligny indes gab ihr ein Zeichen, teils ergeben und teils belehrend. Es hieß soviel, daß er den Anfang besser kannte. Da sie ihm zunickte, begann er wirklich.