«In Kampf gegen Russland». Von Wilhelm Conrad Gomoll. Kriegsberichterstatter des Gr. Hauptquartier Ost-Leipzig. Brockhaus 1916/46.

«Russische Gefangene in Lowiez».

Am 17 Dezember rückten unsere Truppen in Lowiez ein. Als Quartierort ist mir Lowiez einige Zeit danach bestimmt worden. Mein Quartier musste ich durch russische Gefangene erst reiniegen lassen. Es dauerte lange als durch die notwendigen Requisitionen aus den vier kalen Wänden ein bewonhbares Raum wurde. In den Wochen, die ich in Lowiez verweilte, wurden mehrere russische Gefangene eingebracht. Mitten, auf dem alten Ring, dem grossen Marckt-platz von Lowiez, steht die doppelltürmige Hauptkirche der Stadt. Das von einer hohen Mauer umgebene Gotteshaus musste zum Sammellager der gefangenen Russen und der mitunter recht beträchlich anschwellenden Zahl der Spionage verhafteten, gemacht werden. Bis zu 4.000 Mann haben dort schon an einem Tage interniert müssen. Die Kirche hat natürlich, seit dem sie ein Massenquartier der Gefangenen wurde, in bedauerns Werter weise gellitten. Einmal brach sogar ein Brand im innen des Glockenturmes durch feuerfangendes Stroh aus. Es gelang, zum Glück, ihn zu löschen und damit die Orgel zu retten, die bereits gefährdet war. Die kalten Frostnächte mit ihr,en rauhen Ostwinden wurden zu verführen; das Holz reisste, und was russische, einmal… (пропущено слово — прим. авт. )… Zerstörungssucht in kurzer Zeit leisten konnte, gescha hier: das alte würdige und feierliche Gestühl vor dem Hauptaltar wurde ein Frass. des Feuers, die die auf den kalten Steinfliesen der Kirche lagernden Gefangenen unterhielten. In einer Januarnacht betrat ich wieder einmal die Kirche. Schneegeflock umfing mich auf der «Zdunslca Ulizca», der neugetaufte «Hindenburgstrasse», und ich ging mit ganz unkriegsmässigen Heimatgedanken, wie sie wohl jedem gelegentlich auffliegen — dem alten Ring entgegen. Gross und prächtig in seinem Winterschmuck stand das verschneite Gotteshaus in der mitte des weiten Marcktplatzes, und aus seinem innern leuchteten durch die hoclien scheibenlosen Fenster die roten Flammenscheine der Russenfeuer. Langsam ging ich über den Marckt, dem kapellenartig umbauten Haupttor der Kirchenumfriedung entgegen. Über den stillen vorhof betrat ich durch das Hauptportal das Gotteshaus. Pfantastitch, in der Art Hoffmanscher Erzälungen… (пропущено два слова — прим. авт. ).. Menschen und Dinge vorüber. Meister Adolf von Menzels Auge und Hand hätten in dem Bilde würdiges motiv gefunden. Es war ein Schwirren, ein Brodeln, ein ruheloses hin und her von Stimmen und Farben.

Ein scharfer wie nach faulendem Juchten: unreine Luft, Schweis, qualm dazswichen der dumpfe Gestank alten, verschmutzten Strohs stieg in die Nase hinein, benahm den Atem; es legte sich ein Beklemung schwer auf die Brust… Wohl über zwanzig Lagerfeuer schlungen auf von brauen zerflatterrnden Rauchschwaden überbrannt leckten die glühenden Flammen in eine nächtliche Dämmerung hinauf, und um jede der vielen Feuerstätten lagen, knieten und hockten die Gefangenen von denen in dieser Nacht über 2.300 Mann in der Kirche untergebracht worden. Ich sah in ein massloses Durcheinander hinein. Stimmen, unentwierrbar, dumpf, und üncheimlich kochten und brodelten. Waren das Menschen, die sich Tierlmft, so urwel tmässig um die hochauilodernden Brände znsf mmenrollten? Verwilderte wesen, die mit einer Widerwärtigen grauschwarzen Schmutz, kruste bedeckt waren. Schmutzige, blutige Verbände dunkelrot eingetrocknet an Köpfen, Füssen und Händen. Hier und da ein schmerzvolles ausstönen auf einem seitlich errichteten Strohlager. Mitten durch die wilde Schar ging ich hindurch; in die Ecken in dunkeln Knäueln; zusammengezogen schliefen die Gefangenen auf den Steinfliesen; sie lagen in den Nischen der Altäre, ja sogar darauf, denn die Holzplatte des Altars war nicht so hart und kalt wie der Kirchenboden. Manchem Sibirier diente die lieche Pelzmütze, die Papacha, als Kopfstütze an der Wand. Gar wild und unheimlich wirkte der Anblick einiger Kosaken die verwundet, in zerfetzte Mäntel gewickelt abseitz zwischen bessarabische Mannschaften hockten, unter den zottigen hohen kugelrunden Fellmützen schauten dichte, schmutzstarrende Haarbüschel hervor, und es war nur schwer zu unterscheiden, wo der Menschliche Haarwachs sich von der tierischen Pelzmütze trennte. Als ich schlisslich wider in die klare winterliche Nachtluft hinaustrat, atmete ich auf, als ob ich selber aus harter Gefangenschaft befreit worden sei… Russiesche Gefangene kommen und gehen. Am Morgen sassen sie schon in aller. Frühe auf der Umfassungsmauer der Kirche, drängten sich hinter den eisenen Torgittern und schrien nach Brot: «Chleba, Chleba». Oftmals habe ich herzlich lachen müssen, wen sie halb über die Mauer gelehnt, in lauten Zurufen miteinander wetteifernd um die Liebe der lowiezer Handelsleute stritten: «Du Jud! Ech auch Jud! Ech bin hungrich. Kimm! Nimm Geld! Gieb Brot!» Und die Glaubensbrüder kamen und brachten ihnen, was sie haben wollten. Doch zuerst das Geld, denn das Brot war teuer… und: «Geschäft ist Geschäft.»