Drunten füllten von seiner verringerten Truppe doch noch mehr als hundert den Hof und die Straße. Er ließ dreißig von ihnen zurück als Wache für seine Schwester. Mit dem Rest ritt er zum Schloß. Zuletzt eine Brücke über den Fluß, «Handwerkerbrücke», hier hat er noch den Anblick eines reichen, neuen Königsschlosses. Dann aber, am Ende der Straße, die «Österreich» heißt, verändert sich das Bild desselben Baues in einen nicht geheuren Ort, Festung oder Gefängnis, soviel sich auf einmal überblicken läßt von den schwarzen Mauern, gedrungenen Türmen, kegelförmigen Dächern, breiten, tiefen Gräben voll von Brackwasser, das stinkt. Dort hinein zu wollen macht Herzklopfen und kostet noch mehr Überwindung, wenn man aus weitem Land und hohem Himmel kommt. Aber er will es, und eigentlich, was auch daraus werden mag, erfreut ihn das Abenteuer. Ihm sagt sein freier Sinn, daß er fest ist gegen Zauber. Die alte Hexe, von der er schon als Kind geträumt hat, hockt noch immer in ihrem Spinnennetz. Seine arme Mutter hat sich darin verfangen. Um so weniger soll es ihm selbst geschehen!

Die Hufe schlagen auf die Zugangsbrücke. Henri hat grade genug Zeit, des zurückgelassenen Flusses zu gedenken, das war die letzte Fröhlichkeit der Welt, helle Wolken, das Wasser blinkt zwischen Kähnen mit Heu, am Strande werden von schweren Gespannen die Lasten geschleppt unter Geschrei und Gelächter des gemeinen Volkes, das nichts weiß. Meine Mutter aber ist hier ermordet worden: ermordet — hier! Er ist gewärtig, von Raserei befallen zu werden. Sie steigt in ihm auf, sie macht ihn blind. Jemand berührt seine Schulter, einer der Freunde wohl, er hört ihn sagen: «Sie haben hinter uns das Tor geschlossen.»

Sofort war er kühl und klar. Er stellte fest, daß wirklich die Leute des Louvre den Zugang zu der Brücke schnell verrammelt hatten, bevor seine bewaffnete Deckung hindurch war. Die Seinen lärmten draußen. Er gebot Ruhe, herrschte die Torwächter an und mußte natürlich Ausreden hinnehmen. Nicht genug Platz für so viele protestantische Herren. «Dann macht ihn!» — «Keine Sorge, Herr König von Navarra! Platz wird sein im Louvre für alle Hugenotten, die sich einfinden wollen. Je mehr, desto besser!» Und die Bogenschützen oder Arkebusiere stellten sich breitbeinig auf die Ränder der Brücke, ihre Gewehre fest im Arm.

Henri musterte seine wenigen Genossen: dann setzte er sich an ihre Spitze und ritt weiter genau zwanzig Fuß weit, wie er berechnete; jetzt polterten die Hufe auf Holz, das war die Zugbrücke. Eine Tür — die Tür des Louvre, dunkel und massig zwischen zwei alten Türmen. Endlich ein Gewölbe, so niedrig, daß die Reiter absaßen und ihre Tiere führten. Die andere Hand legte sich von selbst um den Griff der Pistolen. Noch einmal zwanzig Fuß zählte Henri, ganz Spannung. Indessen gelangte er in einen Hof.

Dort war es zwar eng, aber offenbar friedlich, obwohl von Menschen überfüllt. Man sah nur Männer, mit und ohne Waffen, aus allen Ständen, bei verschiedenen Beschäftigungen. Höflinge würfelten oder stritten, Bürger gingen in Geschäften ein und aus bei den Ämtern, die im Erdgeschoß des ältesten Gebäudes lagen. Auch Köche und Bediente verließen ihre warme Arbeit, um sich an der Luft zu dehnen. Hier fröstelte jeden, sogar im Juli. Gegen die Mitte erkannte man noch die Grundmauer eines Turms: der dickste von allen, uralt hatte er hier gelastet und die Luft verdunkelt. Erst König Franz, der Großonkel Henris, hatte ihn abgerissen. Dennoch verirrte das Licht sich in diesen Hof nur wie auf den Grund eines Brunnens: er hieß auch der Brunnenschacht des Louvre.

Man blieb unbeachtet in dem bunten Gedränge. Henri und seine Begleiter fanden unter den Edelleuten zufällig keinen einzigen Bekannten. Dagegen wurden sie von Leibwächtern des Königs aufgehalten, als sie versuchten, hindurchzukommen mit ihren Pferden. «Zurück, ihr Herren! Allerdings! Umkehren und wieder über die Brücke müßt ihr, die Ställe sind draußen, und für Gascogner, die nicht einmal Knechte bei sich haben, wird bestimmt keine Ausnahme gemacht.»

So war der Empfang. Henri sagte nicht, wer er war, er verhinderte sogar die anderen daran und machte sich über den jungen Offizier der Leibwache nur lustig. Das dauerte, bis der Herr vom Leder zog: dann entwaffnete ihn der lange Du Bartas und rief etwas zu laut: «Dieser ist der König von Navarra!»

Infolgedessen entstand ein Auflauf, Geschrei für und wider, und den Leutnant mußten sie fortzerren, weil er seinen Gegner durchaus nicht aufgeben wollte. «Wenn er der König von Navarra ist, bin ich der König von Polen!» Zuletzt wurde aber ein Haufe gaffender Bedienter gewaltsam zerteilt, und Henri bemerkte, wer das tat: sein eigener d’Armagnac, den kannten sie schon. Der überzeugte sie von der Wahrheit, wenn auch nur mit seiner größten Suada. Die Versicherungen der gemeinen Leute beruhigten dann die Herren, und ein scheuer Abstand bildete sich um den künftigen Schwager des Königs von Frankreich. D’Armagnac geleitete ihn, während an seiner anderen Seite der junge Offizier blieb, aus Besorgnis wegen der Folgen. Am Fuß einer Treppe sagte er zur Rechtfertigung seines Eifers: «Keinen Monat ist es her, daß hier mein Hauptmann lag mit durchstochener Kehle. Mein Vorgänger aber, ein Herr von Ligneroles, fiel sich auf dieser Treppe zu Tode, niemand weiß, wieso.»

Um seine schweren Verstöße womöglich in Vergessenheit zu bringen, verriet er und flüsterte: «Grade darüber wohnt die Königin Madame Catherine.» Erschrocken über seine eigenen Worte, hielt er an und wagte sich keinen Schritt weiter.

D’Armagnac führte Henri auf sein Zimmer. Der Edelmann als Diener war seinem Herrn vorausgeeilt, schon hatte er alles hergerichtet, auch einen Bottich halb voll Wasser, so groß, daß ein König, der kein Riese war, darin sitzen konnte. Aber Anzüge lagen ausgebreitet, der junge Herr aus der Provinz hatte solche nie getragen. Seide mit blitzender Stickerei, der schönste ganz in Weiß, das war sein Hochzeitskleid. Er begriff, daß darüber noch die Augen seiner Mutter gewacht hatten, und sogleich füllten seine sich wieder mit Tränen.

Die Königin Jeanne hatte ihm kein Trauergewand machen lassen: dies bewies ihrem Sohn, daß sie ihren Tod nicht erwartet hatte, vielmehr jäh von ihm betroffen war. Es war nicht Krankheit gewesen, sondern Gift: die Gewißheit schien ihm endgültig, und in diesem Augenblick war sie ihm auch willkommen. Er sollte vor die Mörderin seiner Mutter treten!