Schon längst vollzog alles sich im zunehmenden Lärm und dem Geschiebe des beginnenden Aufbruchs. Vom Palast d’Anjou wechselte die Gesellschaft hinüber nach Schloß Louvre, dort sollte der am Morgen unterbrochene Ball weitergehen.

Es war nicht laut gestritten worden heute, statt dessen herrschte eine sonst nicht bemerkte Blicklosigkeit der Drängenden. Sie wußten gar nicht, wen sie aus dem Wege stießen oder in ihren Knäuel verwickelten. Kaum daß sie dem nächsten Umkreis des Königs von Frankreich noch Achtung erwiesen. Henri indessen war zu weit abgetrieben, Margot sah er nicht mehr, wandernde Mauern und kein Durchblick, es ging zu wie geträumt. Daher rief er auch unbewußt: «Margot!»

Jemand antwortete: «Fort im Wagen mit ihren Damen. Hierher, Sire, zu mir!»

Henri sah nicht den, der rief. Er hatte die Stimme Agrippas erkannt: schon hörte er sie nicht mehr. «Laßt mich durch!» befahl er. «Ich will zu der Königin.» Hier erlaubte sich eine gezierte Stimme hinter ihm und unfern seinem Ohr merkwürdig dreiste Scherze. Welche der Königinnen er denn meinte? Elisabeth von Österreich hätte ihn wohl schwerlich hinbestellt, mit Madame Catherine hingegen bekäme er es noch immer früh genug zu tun. Henri sah sich um: der junge Dummkopf hatte sich in der Menge versteckt und tat, als wäre er es nicht gewesen. Es war aber Du Guast, Liebling d’Anjous, und was er schwatzte, hatte er von seinem Herrn, es konnte nützlich zu erfahren sein. Henri lachte und winkte, damit der Junge hervorkäme. Der schoß auch schon, so lang er war, im Bogen über einige Köpfe hinweg, erstaunlich anzusehn, und quiekte in der Luft. Es kam, weil Levis de Léran, der schöne Page unter den protestantischen Edelleuten, ihn urplötzlich dort hinauf versetzt hatte mit einem Stoß seines Knies in das beliebte Gesäß. Die, denen der Liebling auf die Köpfe fiel, wichen aus und stürzten über andere. Die Bewegung drohte alle mitzureißen in eine gefährliche Unordnung. Ein Herr vom Hofe Frankreich, d’Elbeuf war sein Name, faßte ohne Umstände den König von Navarra unter den Arm, hob von der Wand einen Vorhang: plötzlich atmeten beide die frische Luft und waren im Dunkeln ganz allein.

Es geschah schnell, ohne Worte, war überraschend, schien mehrdeutig — und was Henri versäumt hatte, als er einsam und ohne Beistand dem Guise gegenüberstand, das tat er hier, er zückte den Dolch. D’Elbeuf sagte jugendlich beseelt: «Wenn Sie mich nicht für Ihren Freund halten wollen, Sire, hier ist meine Brust.» Und er entblößte sie.

Henri beugte sich vor, konnte das Gesicht nicht erkennen, aber auch vorhin, im Hellen, hatte er die Freundschaft noch verkannt. Er verhielt sich sogar weiterhin vorsichtig. «Gehen Sie voran! Ich will in den Louvre. Keinen Schritt vom Wege!»

Als sie anlangten, stand das Tor auf der Brücke wohl offen, aber nicht genug, und es konnte auch weder recht aufgemacht noch ganz geschlossen werden, weil die einen sich hinausquälten, während die anderen sie zusammenpreßten zwischen den Türflügeln. Wildes Gebrüll begleitete die Anstrengungen. Der Schein vereinzelter Fackeln flog über verzerrte Gesichter. Henri sah Knebelbärte und rauhe Koller: die Seinen, sie wollten fort. Die hatten nicht an der Tafel der Könige gegessen, die Ärmsten der Edelleute und Gemeinen waren unbeirrt geblieben von den Verführungen dieses Hofes — hatten einigen Bürgern dieser fremden Stadt die Geldtaschen abgeknöpft und sie vielleicht erschlagen, jetzt aber wollten sie nicht selbst erschlagen werden. Für sie lag es einfach. Sie fluchten und hieben drauflos, weil die Wache des Louvre sie nicht hinausließ.

Ihr König rief sie an. Sie erkannten ihn, ihr Gedränge kam plötzlich zum Stillstand. Verständlich wurde, was einer sagte: «Mord, Sire! Kommen Sie mit uns!» Henri sah sich um: sein Begleiter d’Elbeuf war noch immer bei ihm.

«Tun Sie, was Ihre Leute wollen», antwortete er auf den Blick.

Hinter dem Tor wurde befohlen: «Der von Navarra ist draußen, holt ihn herein!»

«Laßt mich hinein!» sagte Henri zu den Seinen. Sie hielten ihn aber fest. «Wir gehen nicht ohne dich, noust Henric! Wir haben Pferde in den Ställen, mit dir schlagen wir uns durch, mit dir kehren wir tausendfach wieder.» Sie umringten ihn und wagten ihn dringend anzufassen — hätten ihn auch mitgerissen in ihre Bewegung, und die war gemacht aus ihrem ganzen Vertrauen zur Natur; an ihn klammerten sie sich, wie an einen heimatlichen Rebhügel, der sie deckte und den sie nicht aufgaben, gegen keine Übermacht.

Er selbst hätte nur wollen müssen. «Laßt mich mit dem Hauptmann sprechen!» verlangte er statt dessen, da er jetzt sehen konnte, wer auf der Brücke befahl. Der Hauptmann de Nançay hatte inzwischen das Tor weit öffnen lassen, alle Hugenotten mochten abziehen, er hatte es auf ihren König abgesehen. Die Knebelbärte und Koller stießen durch und trabten vorbei an denen, die nicht mehr zahlreich Henri umringten. Der Wall von Körpern um ihn zerfiel und wurde schmal. Jemand, der noch da war, raunte: «Die letzte Minute!» Schüchterne Stimme eines Freundes, der eben rechtzeitig für die letzte Minute erschienen war, zu spät, als daß er das Recht gehabt hätte, anzupacken. Er legte dennoch Hand an Henri, er nötigte ihn zu einem Ringkampf wegen jedes Schrittes, den er ihn fortzerrte vom Tor. Sie kämpften selbstvergessen, bis sie getrennt wurden, sie hatten einander Beulen beigebracht und die Kleider zerrissen.

Die Stimme des Hauptmannes rief: «Was fällt Ihnen ein, d’Elbeuf! Den König von Navarra erschlägt man nicht. Man geleitet ihn ehrfurchtsvoll in das Schloß zurück.»

Henri, der wieder klar sah, fand von seinen Leuten keinen mehr, und Hauptmann de Nançay, mit dem er allein war, schlug einen unerträglichen Ton an. «Sire, schon bei Ihrer Ankunft hatte ich die Ehre, Ihnen zu versichern: je mehr Hugenotten im Louvre, je besser. Leider sind uns soeben einige entwischt. Dank dem heiligen Bartholomäus, Sie haben wir noch.» Worauf Henri, mit der Schnelligkeit seiner achtzehn Jahre, dem Mann einen Backenstreich gab und weiterging. Er sah noch das bestürzte Gesicht des Geschlagenen. Als aber Bewaffnete ihm nachliefen, hörte er den Hauptmann «Halt!» rufen. De Nançay knirschte zuerst und stöhnte dann: «Das ist für später.»

Aus dem Haus erklang voll die Tanzmusik, Fenster standen offen, unter einem verstreuten Licht bewegten sich Gestalten einander entgegen, nur um ihre Reihen dann dennoch zu trennen. Henri stand unten und suchte nach ihr, es war Zeit, sie wiederzufinden. Immer neue wirre Vorgänge hielten ihn fern von ihr, ohne daß sie selbst ihm eine Spur zeigte oder Nachricht hinterließ. Er sah hinauf aus dem Dunkel ins Ungewisse, und ihm klopfte das Herz. ‹Im gelben verstreuten Licht, dem milden Rauschen der Musik vollführte sie jetzt wohl ihre gewählten und kostbaren Bewegungen, gab ihren Füßen und Händen den Anschein des Schwebens, lächelte als Maske der vollkommenen Schönheit. Wir sind weder vollkommen noch edel, Margot, wenn wir nackt sind!› Er faßte mit beiden Händen in die Rosen, die hinauf zu dem offenen Fenster rankten. Der Stich der Dornen machte ihm Vergnügen, das ist der Schmerz, den du mir schenkst! Wäre auch geklettert am Spalier — leider plumpsten aus dem unteren Saal einige angetrunkene Tölpel, Schweizer, die sich draußen erleichtern wollten, und das nirgends sonst als auf die Rosen und den Verliebten. Der entwich in den Saal, und draußen brüllten sie bei ihrem Geschäft vor Lachen.

Das war der Wachsaal, von einzelnen Fackeln ungleich erhellt, und niemand drinnen, außer vier Steinfiguren, die eine Tribüne tragen. In den nächsten, davon abgetrennten Raum führten drei Stufen, man stolperte über sie und weiß nicht, wohin man gerät. Hohes Gewölbe, vom Ball dort oben kaum noch die Erinnerung eines Geigenschluchzens, und kein Licht mehr. «Holla! Niemand hier?»

«Allerdings, jemand hier», antworteten gleich zwei, und Henri, scharf und wach, erkannte die Stimmen, er unterschied auf dem schwarzen Grunde ihre weißlichen Regungen.

«D’Anjou und Guise», rief er ihnen entgegen. «Die Muntersten auf meiner Hochzeit!»

«Du, Navarra?» sagte d’Anjou so trocken wie immer. «Deine Sache wäre Tanzen oder Bettliegen. Unsere sind Sorgen. He! Licht!» sagte er, nicht lauter als das vorige, und es hörte auch niemand.

«Ich bin neugierig auf eure Sorgen. Denn ich kenne euch als Freunde, wie ich sie liebe, ohne Furcht, ohne Falsch.»

«Das sind wir», sagte Guise. «Darum machen wir auch so ehrliche Anstrengungen, damit in Paris der Aufstand nicht losbricht, wegen deiner Heirat.»

«Sie lieben hier nun einmal keinen Ketzer. He, Licht», murmelte d’Anjou.

Henri sagte: «Darum laßt ihr, besonders aber du, Guise, immer mehr Truppen hereinkommen, verbreitet aber in der Stadt das Gerücht, es wimmelte hier von Soldaten des Herrn Admiral.»

«He, Licht. Das hat nichts zu sagen; sie sind versöhnt, Coligny und Guise. Mein königlicher Bruder hat sie versöhnt.»

Diesmal erschien Licht: es war Condé, der Vetter Henris. Er hatte reichlich Diener mit Armleuchtern bei sich. «Ich war um dich in Unruhe, Vetter. Nur gut, daß ich dich in so sicherer Gesellschaft finde.»

«Sie sind versöhnt, weißt du es schon, Vetter Condé? Guise und Coligny haben Freundschaft geschlossen aus Gehorsam gegen den König.» Die Kerzen leuchteten allen in die Gesichter. Henri empfand eine neue, eigentümliche Begier, auch die Dinge dreist ins Licht zu stellen. «Schon dein Vater, Guise, und alle die Deinen, wollten den Herrn Admiral töten lassen; aber bevor es ihnen glückte, ließ er selbst deinen Vater töten. Seitdem zündet ihr einer am andern eure Rachsucht an, jeder neue Guise an dem, der schon da war.»

«He, Licht», sagte d’Anjou aus Bestürzung, obwohl er reichlich beleuchtet war.

Guise wiederholte unerschütterlich: «Ich bin versöhnt mit Coligny. Er hat trotzdem sein Garderegiment hergerufen, aber ich traue ihm.»

«Er hat niemals deinen Vater töten lassen. Er schwört es», versicherte Condé.

«So wahr sind auch meine Schwüre», erwiderte Guise.

«Spielen wir doch Karten», verlangte d’Anjou.

«Du möchtest ihn töten lassen», erklärte Henri, ohne sich zu ihnen hinzusetzen. Die Karten wurden gebracht und gemischt, niemand schien gehört zu haben. Plötzlich schlug Condé auf den Tisch.

«Er glaubt alles, weil Karl ihn seinen Vater nennt. Seine Frau ist abgereist nach seinem Schloß Châtillon. Er selbst sollte längst in Sicherheit sein.»

«Warum setzest du dich nicht, Navarra?» fragte d’Anjou etwas undeutlich, denn seine dicke Lippe zitterte. Er hatte Furcht.

«Weil ich hinaufgehe zu der Königin.»

«Geh nur! Deine Heirat erhält den Frieden. Möge die Hochzeit ewig dauern.»

«Ich will auch nachsehn, wie viele wieder fehlen: von meinen Leuten und von euren. Dein Hauptmann de Nançay, ich weiß jetzt, welcher Dienst ihn abhielt. Wo steckt nur der Mann, den du unter deinem Bett überraschtest, Guise? War es nicht ein Herr de Maurevert?»

«Ich kenn ihn nicht und hab ihn nie gesehn», schrie Guise ganz ohne edle Geziertheit. D’Anjou sagte ängstlich und meinte Navarra:

«Setz dich oder geh!»

Der Vetter hielt Henri zurück. «Weißt du nicht, in welchem Zustand du bist, Vetter? Deine Kleider sind zerrissen, dein Gesicht ist geschwärzt. Woher kommst du?»

Henri flüsterte ihm schnell zu:

«Sie halten unsere Leute mit Gewalt zurück.»

«Fort, schlagen wir uns durch!» flüsterte Condé.

«Nein.» Laut sagte Henri zu einem Haushofmeister: «Ich will es sogleich erfahren, wenn die Königin von Navarra ihr Zimmer aufsucht.» Damit setzte er sich und sie spielten.

Ihr Tisch stand unter dem großen Kamin, aber hoch oben der Sims trug die Armleuchter. Das Licht der Kerzen verbreitete sich gedämpft über die Spieler. In einem stolzen steinernen Schatten verharrten Mars und Ceres, zwei Figuren, die diesen Kamin stützten, seitdem ein Meister, genannt Goujon, sie vordem aufgestellt hatte. Denn die hinterlassenen Gestalten vergangener Meister sind verharrend und stützend noch immer zugegen, indessen die Leidenschaften der Lebenden herunterbrennen gleich Kerzen und hinterlassen nichts. Das erkennt ein Achtzehnjähriger nicht im Spiegel, und durch den Ablauf der eigenen Minuten erfährt er es nicht. Henri aber hatte gegenüber sich selbst d’Anjou, die bebende Lippe, den unsauberen Flaum am Kinn; und dieses drückte sich in eine so zart gerollte Krause, während der Thronerbe seine Augen wie Schrauben durch die Karten bohrte. Sein Spiel stand schlecht, zu urteilen nach den angstvoll verschobenen Brauen. Verkrüppelte Ohren, die Haare derart angesetzt, daß Schläfen und Wangen halbwegs einen äffischen Umriß bekamen: daran war abzulesen, und auch an der gemeinen Nase, daß einer töten will und daß er selbst den Tod fürchtet. Auf seinem Barett glitzerte Geschmeide, auf sein Gesicht gelangte keine innere Helligkeit. Es war armselig, weil nur schwärzliche Geister es umspielten. Madame Catherine! sah der von Navarra. Ihre wahre Furcht: der hätte sie ihr Genie der Finsternis mitgeben wollen. Mißlungen, er tut mir leid, weil er nur unter dem Schutz ihrer Röcke mit Glück vielleicht töten wird, allein aber, ohne die Alte, verliert er das Spiel.

«Trumpf!» rief Navarra und schlug seine Karte nieder, auf einen Haufen anderer. Das Licht der Kerzen verbreitete sich von oben leise schwankend. D’Anjou beugte sich vor, er berührte die zuletzt hingeworfene Karte, zog schnell die Hand weg und besah sie. Hierauf tat Condé dasselbe, nur heftiger. Die beiden anderen widerstanden der Regung, sie mußten nicht greifen, sie hatten erkannt. «Blut!» sagte Guise unwillig. «Wer blutet hier?»

Navarra hielt seine Hände offen hin: sie hatten Risse wie von den Nägeln eines Gegners, mit dem man ringt, oder wie von Dornen. Aber nirgends sickerte Blut. Darauf besah d’Anjou seine eigenen Hände, er konnte sie nicht ruhig halten; sein Gesicht überzog sich, anstatt zu erbleichen, wie mit Asche. Condé und Guise warfen auf ihre Hände nur einen Blick, beiden gleichzeitig fiel es ein, die aufgehäuften Karten auseinander zu rühren. Auf einmal waren alle ihre Finger rot. Das war nicht nur eine Karte, alle Karten klebten, sie lagen in einer Lache, Blutflecken auf dem Tisch! Die Diener wurden verhört, der Tisch abgewischt, der Haushofmeister brachte neue Karten.

Diesmal wurde das Blut zuerst gesehn, als Guise ein Blatt niederschlug, aber an seine Hände dachte er nicht mehr, und keiner von ihnen an die seinen oder andere Menschenhände. Unter den Karten hervor, langsam, unausweichlich, rann es, sickerte, floß zusammen, breitete sich aus. Sie mußten erstarrt dabei sein, sie konnten dagegen nichts, als sich klein machen und vorübergehen lassen dies Kältegefühl, das sie ankam von jenseits, dem Reich des Unbekannten. Guise zuerst entriß sich dem Schauder, er sprang auf und fluchte. Weiß war er wie das Tuch, das der Haushofmeister schon wieder über den Tisch führte; Henri indessen bemerkte gezeichnete Flecke auf seiner linken Wange. Verwirrung! Seine eigenen Finger schienen das, ihr Mal, und es war doch mit einem Backenstreich einem anderen aufgedrückt, dem Hauptmann beim Tor! Guise hatte genug, er verließ geräuschvoll das Zimmer. Condé packte plötzlich den Haushofmeister, der erschrak.

«Du machst das mit deinem Tuch. Du hast das Blut in dem Tuch. Verdammter Taschenspieler, woher kommst du?»

«Aus dem Kloster Saint-Germain», sagte der Mann überraschenderweise und erschrak noch mehr, als hätte er das nie gestehen dürfen. Condé fragte nicht weiter, in seiner Wut stieß er den Mann zu Boden und trat ihn mit beiden Füßen. Henri sah sich um: von d’Anjou fand er keine Spur mehr. Aber der junge Levis, Vicomte de Léran, unter den Protestanten der schöne Page, entstieg strahlend dem Dunkel und meldete:

«Die Königin von Navarra erwartet Sie, Sire.»