Sie nickte befriedigt. Dann bewegte sie die Schulter ein wenig nach den beiden Schweizern, die vor dem inneren Eingang wachten. Die Soldaten nahmen ihre Spieße auseinander, stießen die Türflügel auf: sogleich schritten herein zwei schwarzgekleidete Männer von ungleicher Größe, beide ohne Hut, unbewaffnet, aber mit Gesichtern, ausgezeichnet durch eine Art traurigen Selbstbewußtseins. Sie verbeugten sich ganz richtig, zuerst vor der Königin von Frankreich, dann vor dem König von Navarra, erwarteten das Zeichen, das die Königin ihnen geben sollte, und als diese die Hand gewährend gesenkt hatte, begannen die Männer auch schon, Henri zugewendet: «Ich bin Caillard, ehemals Leibarzt Ihrer Majestät der Königin von Navarra.» Dies sagte der Längere, und er nahm es gewiß so feierlich wie möglich.

«Ich heiße Desneux und bin Chirurg.» Das war eine andere Nummer, der hätte lieber seine amtliche Traurigkeit abgelegt.

«Auf Befehl Ihrer Majestät habe ich, Caillard, Mitglied der Fakultät, mich am vierten Juni, der ein Dienstag war, in das Haus des Herrn Prinzen von Condé verfügt, wo ich die Königin vom Fieber ergriffen und bettlägerig vorfand.»

‹Abgekartete Reden, und sie werden lange dauern›, dachte Henri; er setzte sich. «Was taten denn Sie dabei?» fragte er den zweiten Schwarzgekleideten. «Ein Klistier?»

«Das ist nicht meine Sache», sagte der Chirurg, «das macht dieser», wobei er den anderen mit dem Ellbogen in die Seite stieß.

Der Arzt erbleichte vor Zorn, mit Selbstbeherrschung fuhr er fort: «Ich, Caillard, Mitglied der Fakultät, habe sogleich durch Untersuchungen festgestellt, daß die Lunge der Königin auf der rechten Seite höchst angegriffen war. Auch bemerkte ich eine außerordentliche Verhärtung und vermutete ein Geschwür, das im Körper aufgehn und den Tod verursachen könnte. Demgemäß verzeichnete ich in meinem Buch: ‹Die Frau Königin von Navarra hat noch vier bis sechs Tage zu leben.› Das war am vierten, einem Dienstag. Aber Sonntag, den neunten, trat der Tod ein.» Und er überreichte das erwähnte Buch.

Henri warf einen Blick auf das Gekritzel. Die Miene des zweiten Schwarzgekleideten riet ihm ab, den Aussagen des ersten irgendeinen Wert beizumessen, als höchstens den der Komik. Der zweite hielt sich wohl für aufgefordert zu sprechen, denn er fing einfach an.

«Ich bin nur der Chirurg Desneux, ein unberühmter Mann, Eure Majestät hat noch nie meinen Namen gehört. Dagegen kennen Sie zweifellos den illustren Herrn Caillard, eine Zierde der Fakultät. Er hat der Wissenschaft am Busen gelegen, während ich nur ein armer Handwerker bleibe und mit der Säge arbeite. Er sagt den Leuten die genaue Stunde ihres Todes vorher, wenn nötig unter Befragung der Gestirne. Ich meinerseits schneide sie auf, nachdem sie gestorben sind, und dabei finde ich allerdings einiges, das sich sehen, greifen und nicht leugnen läßt. Immer hat es aber schon zum voraus in dem sibyllinischen Buch des großen Caillard gestanden, weshalb ich auch nichts weiter vorstelle als seinen niedrigen Gehilfen.» Er verbeugte sich vor dem Arzt.

Dieser nahm die Huldigung als verdient hin. «So ist es», versetzte er. «Als dann die Königin entschlafen war, habe ich ihren eigenen, bei Lebzeiten mir übermittelten Willen ausgeführt und habe den hier anwesenden Chirurgen Desneux dazu angehalten, ihren Körper zu öffnen.»

Der Sohn der Toten sprang auf. «Das habt ihr getan? Das habt ihr euch erlaubt!»

Caillard blieb traurig und selbstbewußt. «Nicht nur den Körper Ihrer Majestät habe ich auf ihren Befehl öffnen lassen: auch ihren Kopf. Denn die Königin litt im Kopf an heftigem Kitzel und befürchtete eine Krankheit, die sie ihren Kindern vererbt haben könnte. Sie beharrte dabei, obwohl ich ihr zu bedenken gab, daß ohne Gottes Willen keine Vererbung stattfände.»

«Beweise!» rief Henri und stampfte auf. «Sonst glaube ich von alldem kein Wort.»

Da zog der Mann wahrhaftig eine Rolle hervor, überreichte sie dem Sohn, und Henri las den Namen seiner Mutter, geschrieben von ihr selbst, er konnte nicht zweifeln. Darüber stand von anderer Hand ihre Verfügung, wie der Arzt sie berichtet hatte.

«Was habt ihr gefunden? Schnell, ich will es wissen!»

Diesmal sprach wieder der Chirurg. «Im Körper alles, was Herr Caillard vorausgesehen hatte. Die Verdickung in der angegriffenen Lunge und das Geschwür, das durch Zerplatzen zur Ursache des Todes geworden war. Im Kopf aber dies.»

Wie ein Taschenspieler, mit halbem Lächeln über sein gelungenes Kunststück, zeigte er auf den Tisch, wo ein großes, mit Linien bedecktes Blatt lag. Kurz vorher war dort die leere Platte gewesen. Henri sah näher hin und erschrak: auf dem Papier erschien ein Schädel, der Schädel seiner Mutter. Der Chirurg berichtete: «Nachdem ich den Kopf der Königin aufgesägt hatte —»

«In meiner Gegenwart», schob schnell der Arzt ein.

«Sonst wäre der Schädel auch nicht aufgegangen. Nachdem ich ihn denn geöffnet hatte, fand ich unter der Schädeldecke gewisse Blasen, gefüllt mit wässeriger Flüssigkeit, die sich, als die Besitzerin des Schädels noch lebte, über die innere Schwarte ergossen haben mußte.»

«Daher das sonst unerklärliche Kitzeln», bemerkte der Arzt. Der Chirurg stieß ihn in die Seite und quäkte: «Dieser hat es erklärt. Ich könnte das nicht. Nur die Zeichnung ist von mir. Sehen Sie, wo mein Finger liegt?»

Aber der feierliche Lange schob einfach den Finger des Untersetzten weg; der lief blau an vor Zorn.

Während hierauf der Arzt ausführlich und voll redlichster Überzeugung die Linien und Punkte deutete, folgte Henri ihm wohl, aber zugleich beobachtete er Madame Catherine. Auch sie war zuerst aufmerksam über das Blatt geneigt, obwohl sie es gewiß nicht zum erstenmal sah. Je anschaulicher indes die Krankheit ihrer guten Freundin wurde, um so weiter wich Madame Catherine zurück, bis sie wieder aufrecht saß in ihrem graden Sessel.

«Ein so seltener Fall», bemerkte der Arzt, «ja, von dermaßen verdächtiger Art, daß noch mein Lehrer und Vorgänger von Zauberei gesprochen haben würde. Ich halte mich an die Natur und den Willen Gottes.»

Hierzu nickte Madame Catherine und blickte den Sohn ihrer guten Freundin an: das ist das Gesicht einer gutmütigen, einfachen Frau, erfahren und gewitzt, wenn man will, aber hier versagt ihr Rat, und sie ist ehrlich besorgt über die dunkle Ungunst der Dinge. ‹Könnte ich nur hinabsteigen in diesen Blick›, denkt der Sohn der vergifteten Jeanne — die aber gar nicht vergiftet zu sein braucht. ‹Alles liegt viel zu natürlich. An der Aufrichtigkeit des Arztes läßt sich nicht zweifeln, fast ebensowenig allerdings an der Begrenztheit seines Wissen. Diese Wasserblasen unter der Schädeldecke meiner lieben Mutter, wie sind sie entstanden? Durch Gift? Oh, könnte ich hinabsteigen in diesen schwarzen Blick und mit Händen berühren, was drunter ist! Gewißheit!›