Sein innerer Kampf blieb der klugen Alten schwerlich verborgen, sie nahm nur keine Kenntnis davon. Sie handelte, als müßte sie einzig den Schmerz des Sohnes schonen. Zuerst gab sie den beiden Männern der Praxis ein Zeichen, worauf sie sich verbeugten wie vorhin und abtraten mit demselben Ausdruck von traurigem Selbstbewußtsein wie beim Kommen. Darauf ließ sie ihm Zeit — etwas zu lange Zeit sogar: sein Haß, der schon in Unordnung geraten war, kehrte gesammelt zurück. Der Sohn erinnerte sich der beiden geöffneten Briefe: Nach ihrem Abgang war seine Mutter gestorben! Ohne es zu wissen, eilte er mit großen Schritten durch das Zimmer hin und her. Madame Catherine folgte ihm ruhig mit den Augen, was ihn wieder verwirrte, als er es bemerkte. Schroff hielt er an und stand vor ihr, die Arme verschränkt, eine unerlaubte Haltung. Das Wort «Mörderin» sollte dennoch fallen, es war noch nie so nahe gewesen. Sie kam dem Ausbruch zuvor. Sie sprach sehr langsam und friedlich.

«Liebes Kind, es beruhigt mich, daß Sie jetzt ebensoviel wissen wie ich selbst. Es tat mir wohl, mitanzusehen, wie Sie überzeugt wurden. Jetzt können wir unseren Schmerz verschließen und uns der Zukunft zuwenden.»

«Aber der Schädel!» sagte Henri drohend in ihr Gesicht, das schwer und grau wie Blei war. Dann suchte er auf dem Tisch: das Blatt mit der Zeichnung war fort, vor Überraschung fielen ihm die Arme herunter. Zum erstenmal verriet hier Madame Catherine ein Lächeln, es war allerdings kein schmeichelhaftes. Es hieß: ‹Nicht einmal darauf haben Sie aufgepaßt, liebes Kind.›

Merkwürdigerweise beruhigte ihn sein Mißerfolg, er stimmte Henri sofort sachlich. ‹Ich kann nichts machen. Sie ist im Vorteil. Verständigen wir uns!› Da legte er auch schon den Haß und das Mißtrauen ab, als ob er beide in die Tasche steckte. Seiner Natur machte das keine Mühe. Erleichtert setzte er sich der alten Frau gegenüber, und sie nickte dazu. «Ich habe mit Ihnen viel Gutes vor», sagte sie.

Henri wartete, und sie sprach weiter. «Jetzt sind wir Freunde, ich kann Ihnen offen sagen, warum ich Ihnen meine Tochter geben will. Ich tue es wegen des Herzogs von Guise, der meinem Haus gefährlich werden könnte. Er war Ihr Schulfreund; wissen Sie wohl, daß Henri Guise inzwischen auf Beliebtheit bedacht gewesen ist bei dem Pariser Volk? Er gibt sich christlicher, als ich es bin, und ich verteidige doch wirklich die heilige Kirche!»

Hier funkelte es leise in ihren undurchdringlichen Augen: da vergaß Henri, daß er sie vergebens hatte ergründen wollen, und lachte stumm mit ihr, denn wenigstens ihren Unglauben bekannte sie, und das gefiel ihm. In der Verachtung des heuchlerischen Fanatismus begegnete er sich mit Katharina von Medici. Sie wurde übrigens gleich wieder ernst.

«Aber er hat damit erreicht, daß der Papst und Spanien ihm helfen. Dieser kleine Lothringer könnte mit ihrem Geld ein großes Heer gegen mich schicken. Noch mehr, wenn er lange so weitermacht, kann er Paris aufwiegeln. Noch mehr, er kann Mörder bezahlen. Was er zuletzt erreichen würde? Daß Frankreich eine spanische Provinz wird.»

Sie beachtete nicht, daß ein unbedeutender junger Mensch ihr zufällig zuhörte. Katharina war ihrer liebsten Wollust hingegeben, den Geist über einen Abgrund zu spannen.

«Auch ich», sagte sie leise, «könnte den König von Spanien zufriedenstellen. Er verdenkt es mir, daß ich meine Protestanten schone.» Langes Sinnen: ihr geschlossener Mund bewegte sich dabei. Dieser Anblick machte Henri aufmerksam, mehr als ihre Reden. Mörder bezahlen, hatte sie gesagt. Auch sie könnte es! Aber sie hatte es nicht nötig, da ihre eigene kleine und fette Hand so vorzüglich ein Getränk zu mischen verstand. Er beobachtete scharf, und nicht lange, so bemerkte sie es.

«Meine Protestanten stehen mir so nahe wie alle anderen Franzosen», äußerte sie, wieder ganz gelassen — und mit stillem Nachdruck: «Ich bin eine Königin von Frankreich!»

«Ihr Sohn ist der König», verbesserte er unbedacht und eigentlich nur darum, weil er sich der Erzählung seiner Mutter Jeanne erinnerte von dem König, der blutete. Auch die beiden noch lebenden Brüder Karls des Neunten waren bestimmt, dieselbe Krankheit zu bekommen, und der älteste war ihr schon erlegen. ‹Wer ist eigentlich›, denkt Henri, ‹diese einzelne alte Frau, der die Söhne fortsterben? Die anderen Franzosen bleiben ihr in Wirklichkeit so fern, wie wir Protestanten ihr sind.› Laut sagte er: «Madame, was für ein schönes Schloß ist doch der Louvre! Aber alles, was ihm Glanz verleiht, kommt aus Ihrer Heimat. Die Architektur ist italienisch» — wie das Giftmischen, hätte er gern hinzugesetzt. Sie hob die Schultern, denn von den beiden Künsten, die er meinte, war ihr die erste fremd. Auch liebte sie keineswegs ihr einstiges Florenz, denn in der Jugend hatte sie dort Unglück gehabt und war vertrieben worden. Madame Catherine stellte nichts vor als eben sich selbst, und das war ihre Kraft, solange sie aushielt.

Jetzt betrachtete sie den jungen Menschen mißtrauisch. «Sie sprechen vom König. Haben Sie ihn denn vor mir schon gesehen?»

Er verneinte lebhaft. Sie senkte noch mehr die Stimme: dies sollten nicht einmal die Schweizer Wachen hören, obwohl sie es nicht verstanden hätten. «Der König ist manchmal nicht bei sich», flüsterte die abgründige Alte. «Ich sage es niemandem, aber er hat Wutanfälle, dann faselt er sogar vom Morden, von irgendeinem großen Morden. Es ist krankhaft», raunte sie dringlich.

Henri stellte nur fest, daß er in eine hübsche Familie einträte, aber das war nichts Neues. Die Mutter der blutenden Söhne beruhigte sich schon wieder. «Meine anderen beiden sind wohlgeraten, besonders d’Anjou. Seien Sie sein Freund, liebes Kind! Vor allem halten Sie es immer mit uns gegen die Lothringer! Sie sollen auch unser Heer führen, denn das können Sie, und Sie werden nicht weniger brauchbar sein, als Ihr Vater es war. Dafür bekommen Sie meine Tochter. Hüten Sie sich aber auch bei ihr vor dem Herzog von Guise: die Frauen finden ihn schön.»

Henri denkt: ‹Und sie schlafen mit ihm. Machen Sie keine Flausen, Madame! Wir kennen uns, und ich weiß, was für ein Mädchen ich zur Frau nehme. Nur meine liebe Mutter wußte es nicht!› So versicherte ihm sein zärtliches Herz.

Herausfordernd sagte er: «Darum haben Sie den Guise auch fortgeschickt, Madame, bevor ich hier ankam.»

Die Alte, um so gemächlicher: «Zu Ihrer Hochzeit wird er wieder da sein. Es ist manchmal wünschenswert, daß ein junges Mädchen einen allzu beliebten Mann nicht vor Augen hat. Eine alte Frau wie ich muß ihn dagegen ständig beaufsichtigen. Alle meine Feinde will ich im Louvre schön beisammenhalten.» Dazu gehörte er selbst, wie nicht zu verkennen war.

Ihre Deutlichkeit hätte ihn beleidigen können, trotz seiner eigenen frühzeitigen Zweifel an der Menschennatur. Bei ihr wurde das Leben denn doch zu nackt. Andererseits überwog das Gefühl des Vertrauens, das ihn langsam ergriffen hatte im Laufe ihrer Reden. Bringt man ihm ein so schmeichelhaftes Vertrauen entgegen, endlich einmal wird ein Achtzehnjähriger es nicht mehr fortweisen können. ‹Von dieser berühmten Hexe habe wenigstens ich selbst nichts zu fürchten, und auch meiner lieben Mutter hat sie es nicht im Wasser gegeben!› In diesem Augenblick würde er das Glas auf einen Zug geleert haben, wenn auf dem Tisch eins gestanden hätte.

Statt dessen gab Madame Catherine ein Zeichen, sogleich stießen die Wachen die äußere Tür auf, und auf die Schwelle traten die beiden Edelleute, die Henri hergebracht hatten. Leicht erstaunt nahm er Abschied und ließ sich zurückführen.