Diesmal sprach er mit seinen Begleitern. Einer war der Erste Edelmann des Königs, de Miossens, ein überaus vorsichtiger Mann, er verriet nicht einmal, daß er Protestant war. Henri sagte es ihm auf den Kopf zu, er hatte gewisse untrügliche Zeichen, an denen er die von der Religion erkannte. Er fragte lachend: «Fürchten Sie sich vor den Parisern? Das Volk mag uns hier wohl nicht?»
«Wenn es nur das Volk wäre», antwortete Herr de Miossens rätselhaft.
«Schämen Sie sich! Sie, ein Erster Edelmann des Königs, sollten stolzer sein.»
Damit ließ er die beiden Herren stehen und machte große Schritte, denn dort hinten in einem schöngepflegten Garten bemerkte er Karl den Neunten selbst, er war allein und belustigte sich mit einer Meute von Hunden, die kläfften. Von weitem rief Henri ihn an. Da er nicht gehört wurde, fiel ihm etwas anderes auf: er befand sich unterhalb des Zimmers, aus dem er kam. Dies war die besonnte Front in all ihrem unglaubwürdigen Zauber, eine Versuchung des Bösen, wenn man so wollte, aber ein Blendwerk der Sinne jedenfalls. Hierauf folgte unvermittelt die Erkenntnis, daß Madame Catherine ihn eigentlich gar zu sehr im rechten Augenblick entlassen hatte: als er endlich überzeugt war, sie hätte seine Mutter nicht vergiftet. Pünktlich, als er ihr glaubte, hatte sie ihn entlassen. Sie durchschaute ihn unheimlich, er aber hatte vergebens versucht, hinter ihre undurchsichtigen Augen zu gelangen. Da erschrak er: wieder lebendig wurde ihm sein eigener erster Zustand, als er droben das Zimmer betreten hatte — ein Richter und Rächer. «Mörderin!» Er hatte das Wort zurückgehalten, zweimal, und nicht nur aus Vorsicht wie ein Höfling, sondern weil die Alte ihn wirklich vertrauensvoll und dumm gemacht hatte. Jugend taugt nichts für solche Fälle, mich jedenfalls hat sie zur Ohnmacht verurteilt!
Hier suchte er schnell das bekannte Fenster. Doch, er hatte vorher recht gesehen. Das Gesicht war schon wieder ausgelöscht, bevor er es richtig erfassen konnte; dennoch fühlte er unzweifelhaft, daß er beobachtet worden war. Man behielt ihn im Auge, ob sein kindliches Vertrauen noch währte. ‹Nicht ganz, Madame Catherine! Ich weiß nicht alles, und nicht einmal wie die Königin, meine Mutter, gestorben ist, weiß ich gewiß. Aber ich will niemals wieder vergessen, daß Sie von den beiden Wissenschaften Ihrer Landsleute, Gift und schöne Bauten, nur die eine beherrschen. Böse Fee, wenn überhaupt Fee. Ich soll bei euch das Fürchten lernen, aber ich muß lachen. Von ihrem dicken Sohn hat sie mir gesagt, er wäre toll.›
Viel langsamer diesmal, näherte er sich Karl dem Neunten. Dieser sah ihn noch nicht. Vielmehr nahm er seinen schrägen Blick wieder zurück und stellte sich, als beschäftige ihn nur seine Meute. Zwei der Hunde hatten sich ineinander verbissen: er ermunterte sie durch Zurufe, damit sie nicht losließen. Plötzlich schrie er in das Gekläff:
«Ich mag die beiden nicht. Dann muß man sie sich gegenseitig totbeißen lassen.»
Infolge dieses Empfanges, den er noch alberner als unschicklich fand, machte Henri eine Wendung, um fortzugehen. Da trennte sich Karl von seiner Beschäftigung und folgte ihm. «Navarra! Was hat Ihnen die Königin, meine Mutter, gesagt?» Dies mit Seitenblick. Henri bekam den Eindruck: ‹Der hat hier unten in großer Unruhe auf mich gewartet!›
«Wir sprachen meistens von Schädeln, einmal auch, ich weiß nicht von welcher Mörderei. Es war lustig, und Madame Catherine gefällt mir, ich ihr übrigens auch.»
Karl indes fuhr auf, er zitterte und wankte.
«Um Gottes willen, Navarra, ich will von Morden nichts mehr wissen! Noch nicht lange her, haben aus meiner Leibwache zwei sich umgebracht, wie hier die bösen Hunde. Die Königin, meine Mutter, trägt immer den ganzen Kopf voll schrecklicher Dinge.»
«Dasselbe behauptet sie von Ihnen», warf Henri hin: sofort klappte dem König von Frankreich der Mund zu, ja seine Gestalt schrumpfte ein. Wenn er toll war, wie seine Mutter ihn nannte, seine Angst übertraf noch seine Wut. Er wurde gelblich bleich inmitten aller weißen Seide, mit der er bekleidet war. Erst bei diesem Anblick kamen dem Sohn der toten Jeanne Bedenken. Das Gewissen Karls war zu offenkundig schlecht. Er und seine Mutter, die sich gegenseitig für verrückt erklärten, den Verrat welcher Geheimnisse befürchtete jeder vom anderen? Worte seiner Freunde kehrten dem jungen Henri in den Sinn zurück: ‹Sie werden der zweite sein. Sammeln Sie die von der Religion! Natürlich wäre es geraten, diese Mördergrube hinter sich zu lassen, solange noch Zeit ist. Meine Schwester holen und fort inmitten des berittenen Haufens! Indessen, das tut man nicht, weil man im Gegenteil hergekommen ist, um das Fürchten zu lernen — und überdies nahen dort zwei Mädchen, geleitet von Pfauen mit funkelndem Gefieder, die ihnen vorausgehn, als würden sie an Zügeln gelenkt. Die eine ist Margot, leibliche Tochter der Giftmischerin›: dies das erste, was Henri durch den Kopf schießt. Aber sein anderer Gedanke holt den ersten sofort ein: ‹Margot ist schön geworden!›