Seine ersten Schritte waren voll Freude: «Ah! Liebe Margot!» rief er laut. Karl der Neunte wendete sich verwundert um; dann schien er zu den Hunden zurückzukehren. Die Prinzessin von Valois sprach erst, als Henri schon vor ihr stand, da sagte sie: «Ich hoffe, daß Sie gut gereist sind.»
«Mit Ihrem Bild vor Augen», versicherte er sofort. «Aber es reicht nicht an die Wirklichkeit heran. Wer ist Ihre hübsche Freundin?»
«Madame de Sauves!» befahl Margot, anstatt ihm zu antworten. «Bringen Sie doch die Vögel zurück!» Die Ehrendame klatschte darauf in die Hände, und wirklich setzten sich die Pfauen vor ihr her in Bewegung. Sie hatte noch Zeit gehabt, den jungen Mann vom Lande zu beurteilen. Ein spöttischer Blick unter ihren hohen Augenbrauen genügte ihr. Der war für Frauen eine harmlose und leichte Beute! ‹In den Händen der Prinzessin wie in meinem›, dachte sie und ging dahin, sehr schlank und fein.
«Ihre Nase ist zu lang», sagte Henri, als sie fort war.
«Und meine?» erwiderte Margot abweisend, denn die Nase der anderen war nicht länger, nur grader war sie als ihre eigene. Er bemerkte, daß ihm die Zunge ausgerutscht war.
«Eins ist sicher», sagte er, «Mathilde hat dünne Lippen.»
«Charlotte.»
«Sehen Sie, jetzt haben Sie mir den Namen verraten.» Er war glücklich über seinen Sieg, denn deutlich fühlte er den Widerstand, den Margot ihm leistete.
«Ich liebe einen weichen Mund, und die Zähne müssen größer und glänzender sein.» Dabei betrachtete er den ihren, sah ihr aber plötzlich in die Augen — nicht dreist, sie fand innerlich: nicht dreist genug. Sein Blick war sanft begehrlich, er machte den Versuch, sie vermittels des Blickes zu umarmen, aber in aller Höflichkeit und Verehrung, nicht wie eine reizende Dirne an einer Straßenecke. Eine etwas einschüchternde Dame war aus der Margot mit den dicken Beinen geworden! Daher eroberte er sie auch nicht im Sturm, und keineswegs bekam sie die Augen der Hingabe, getrübt und blicklos. ‹Die Tochter der Mörderin!› erinnerte er sich, eingeschüchtert. ‹Schön geworden während der Taten ihrer Mutter!›
Sie dachte: ‹Nach meinen Beinen schielt er doch!› Denn sie wußte, so gut wie er, aus Kinderzeiten, was sie ihm auf der Schaukel versprochen hatte, und damals hatte er es sich schon nehmen wollen. Was stand denn jetzt nur zwischen ihnen, daß er sich fürchtete? Inzwischen blieb ihr völlig weißes Gesicht gelassen wie der Himmel. Henri unterschied nicht wie seine liebe Mutter, was Geziertheit noch was Schminke war. Übrigens hatte Jeanne das Mädchen fehlerlos gefunden von Gestalt, derselben Meinung war ihr Sohn, und ihn störte nicht einmal, daß die Prinzessin Marguerite zu sehr geschnürt war. Ebensowenig erkannte der Sohn im voraus, daß ihre Wangen einst herabhängen würden. Obwohl sie längst nicht so sehr von Perlen und Edelsteinen schimmerte wie bei einer Prozession, war sie für ihn doch von größter Pracht und allen seinen Sinnen ein ungeheures Versprechen.
Er dachte: ‹Mach dein Prinzessinnengesicht! Bald liegen wir zusammen im Bett.›
Hinter ihrer hochmütigen Stirn dachte sie: ‹Werde ich noch wieder mit dem Guise schlafen? Ich glaube nicht, denn dieser gefällt mir. Ein Junge vom Lande, und doch ein Königssohn, hat seine Mutter gesagte.
Er dachte: ‹Margot, Margot, mit dem Guise sollst du nicht mehr schlafen, denn ich werde dich reichlich beschäftigen.›
Inzwischen nun hatte sie längst angefangen, ihm ein kühles lateinisches Kompliment über seine Feldzüge und Kriegstaten zu machen. Er versicherte sie in derselben Sprache seiner Huldigung für ihre Gelehrsamkeit und Bildung, vereint mit hoheitsvollem Auftreten. Jeder bemühte sich, die vollkommensten Sätze zu bilden, aber beide dachten dabei an das andere.
Plötzlich, änderte sie das Gespräch.
«Sie haben eine Beratung mit meiner Mutter gehabt.»
Er erschrak, wie ertappt, denn sein Gefühl, was er auch sonst sprach oder dachte, blieb eigentlich: ‹Tochter der Mörderin!›
«Unter vier Augen», sagte sie. «Über einen schmerzlichen Gegenstand, wie ich glaube. Ich bin voll Mitgefühl.» Ihre blaugemalten Lider klappten mehrmals, endlich blinkte eine Träne. Sofort griff er nach ihrer Hand, er flüsterte: «Kommen Sie fort von hier!» Denn hinter ihnen ahnte er den Seitenblick ihres Bruders Karl. Zierlich führte er sie über den offenen Gartenweg, aber kaum hinter einer Hecke angelangt, fragte er stürmisch: «Haben Sie meine Mutter zuletzt noch gesehn? Woran ist sie gestorben? O sprechen Sie doch!» Denn natürlich schwieg sie.
«Aber Sie wissen, was erzählt wird?» Er drang in sie. «Gestehen Sie mir doch, was Sie davon halten! Sie wollen nicht? O Margot! Das ist schlimm.»
Anstatt zu antworten, betrat sie den Eingang zwischen den hohen Hecken, obwohl dies ein Labyrinth und sogar beim Schein der Sonne nicht hell war. Aber ihr Empfinden riet ihr, daß er sie jetzt nicht genau sehen sollte, und sie ihn nicht. Er blieb im Gehen an ihrer Schulter, berührte sie bei jedem Schritt, und seinen Atem spürte sie auf ihrem Hals.
«Ich bin in einer furchtbaren Not. Ich tappe im Dunkeln und finde den Ausgang nicht.» Grade so irrten sie hier durch die engen Windungen. «Ich habe immer, immer dein gedacht!» sagte er plötzlich mit einem so tiefen Beben, daß sie anhielt und ihn ansah: er hatte Tränen in den Augen. Diese waren zweifellos echt, aber ebenso sicher erwartete er, daß sie endlich gerührt wäre und mit der Wahrheit herauskäme.
«Ich kann doch selbst nichts behaupten», begann sie, atmete erregt und brach ab.
«Aber Sie haben Gründe zu vermuten? Einen Anhalt?»
«Nein! Nein!» Der Ton beschwor ihn, zu schweigen. Das half ihr nichts.
«Wir sollen uns heiraten. Begreifen Sie, warum ich Ihr schönes Gesicht nicht küsse und Ihnen den Rock nicht aufhebe? Sie haben vor mir ein Geheimnis, das ist stärker als alles.»
Das Mädchen stöhnte nur. Er ließ nicht ab.
«Meine Leidenschaft für Sie war nie vorher, was sie heute ist. Ich werde nur noch eine lieben können!» rief er und glaubte es. «Margot! Margot! Sie sind vielleicht die Tochter der Frau, die meine Mutter getötet hat.»
Stille und tiefes Erschrecken beim Nachklang dieser Worte. Zuletzt schluchzte das Mädchen auf. Sie hatte begriffen, welchen neuen, furchtbaren Wert sie für den Sohn der armen Königin Jeanne bekommen hatte. Sie war zu einer Gott weiß wie verhängnisvollen Gestalt geworden, die Ausgeburt der Tragödie, während sie doch vor sich selbst ein ziemlich gutmütiges Mädchen war. Konnte ihren Begierden nicht widerstehen, bekam wohl einmal Prügel dafür. Wußte es gar nicht anders, als daß Menschen getötet wurden an diesem Hof und daß jeder, der ihre Mutter störte, aus dem Wege mußte. Sie selbst lebte unbefangen dazwischen, und öfters verliebte sie sich, während nebenan Morde geschahen.
«Sie sind vielleicht die Tochter der Frau», wiederholte er, nur für sich, für das Grauen in seinem Innern, das ihn warnte vor dieser ausbrechenden Leidenschaft.
«Vielleicht», sagte sie darauf selbst, in einem möglichst unbestimmten Ton. In Wahrheit war sie, auch ohne Beweise, völlig überzeugt, daß diese Tat geschehen wäre so gut wie alle anderen. Seine Zweifel teilte sie nicht — und darum tat er ihr leid, noch mehr leid, als wenn er Sicherheit gehabt und ihr ins Gesicht seine Anklage geschleudert hätte. Er war wehrlos, er hatte sanfte Augen, seine Mutter war ihm getötet worden von ihrer eigenen, und er stand im Begriff, es ihretwegen zu vergessen. Dies alles, aber besonders seine Unschuld, griffen ihr ans Herz, es schlug heftig, und sie wartete, daß er endlich Ernst machte und sich über sie warf.
Er stand auch wirklich auf dem Sprung, die Arme halb erhoben. Im letzten Augenblick schrie er auf vor Schrecken, und sie schrie mit, nur weil sein Gefühl mittlerweile ganz das ihre war. Gesehen hatte sie noch längst nicht, was er sah. Sein Blick war zufällig abgeirrt in eins der gründämmernden Verstecke; daraus schien ihm eine Gestalt hervor und zwischen sie beide treten zu wollen. Der Achtzehnjährige verlor den Kopf und rief: «Mama!»
Er erfuhr nie, wie lange die Täuschung gewährt hatte. Aber auf einmal trug er Margot, ihre begehrte und hingegebene Last, auf seiner Brust, sie selbst hatte sich dagegen geworfen, und sie brachte hervor unter Schluchzen und Lachen: «Dort steht nur ein Spiegel, damit man sich noch mehr verirrt in diesen Gängen, und du hast niemand kommen gesehn als nur mich, deine Margot. Jetzt bin ich da, denn jetzt liebe ich dich!»
Sie dachte: ‹Zwei Tränen sind mir schon über das Gesicht gelaufen, wir werden ja sehen, ob die Schminke das aushält.›
Er dachte: ‹Sie wird den Guise nicht mehr brauchen›, und fing an, ihren weiten, aufgespannten Rock zu raffen. Denn während ihrer größten Regungen vergessen die Menschen ihre ganz gemeinen keineswegs.
Aber diese unheiligen Gedanken trieben nur wie hilflose Kähne auf dem gewaltigen Meer, und das war die Leidenschaft. Dunkles Leben, schweigende Taten allseits, nur sie beide waren hinausgelangt in einen berauschenden Sturm. In dies Meer wollen wir springen, und nie wird wieder von uns gehört werden! So verharrten sie aneinandergeklammert: die beste Zeit, die einzig unvergeßliche. Noch wenn sie, gealtert, einander gelegentlich begegneten, und hatte inzwischen jeder den anderen oftmals belächelt oder gehaßt: auf einmal wurde das wieder der Mann des Labyrinths und das Mädchen der dumpf und schwer riechenden Gänge.
Margot machte sich als erste los. Sie war einfach erschöpft.
So viel Gefühl kannte sie nicht. Auch Henri wußte kaum, wie ihm geschah. Merkwürdigerweise empfand er das Geschehene im Augenblick als beschämend, er war nahe daran, sich über sie beide lustig zu machen. Auf die große Erhebung folgte die Verlegenheit, und so irrten sie weiter zusammen durch die engen Windungen, auch Margot fand den Ausgang nicht mehr. Als er dann zufällig vor ihnen lag, hielt sie Henri zurück und sprach: «Es geht leider nicht. Ich werde dich nicht heiraten.»
Das erstemal seit der Kindheit nannte sie ihn du — und nur, um nein zu sagen.
«Margot, wir sollen heiraten. So ist es», bestätigte er im vernünftigsten Ton.
Sie dagegen: «Sahst du nicht eine, die zwischen uns treten wollte?»
«Meine Mutter hat unsere Heirat selbst betrieben», erwiderte er schnell, um jede weitere Untersuchung abzuschneiden. Sie in ihrer Erschöpfung atmete hörbar und meinte: «Das werden wir nicht aushalten.»
Es sollte aber heißen: Eine Leidenschaft mit so vielen Hintergründen, mit Schuld, Verdacht und Verstrickung, indessen diese Tote ihr armes Gesicht zwischen unsere Küsse schiebt! Margot hätte dies, wenn sie wollte, in lateinische Sätze bringen können: aber ihr Empfinden war ohne Eitelkeit, daher drückte sie es nicht aus. Sie demütigte sich, was sonst nicht vorkam bei der freidenkenden Prinzessin von Valois. Die Christenpflicht erwachte in ihr, zugleich mit der menschlichen Selbstachtung. In diesem Labyrinth geschah entschieden zuviel Besonderes mit Margot, unmöglich konnte es lange so weitergehen. Indessen äußerte sie dennoch: «Du solltest abreisen, teurer Schatz.»
«Mich so nennen hören von deinen Lippen, und dich verlassen?»
«Dies ist ein sittenloser Hof. Ich treibe Wissenschaften, um nichts sehen zu müssen. Meine Mutter glaubt nur an ihre Astrologen, und die haben ihr den Tod der Königin Jeanne vorhergesagt, wahrscheinlich hatten sie den Auftrag dazu von anderen bekommen. Was alles mögen sie ihr aber für künftig noch eingeflüstert haben?»
Margot hatte wohl Vermutungen über manches, das bevorstehen mochte. Lieber, als ihre Mutter zu verdächtigen, schob sie es auf die Astrologen. «Reise schnell ab!»
«Das wäre, als ob ich mich fürchtete!» Seine Entrüstung nahm zu. «Ich werde mir den Mantel bis über den Kopf ziehen, und Paris wird mich auspfeifen, während ich davonlaufe.»
«Sie zeigen einen recht albernen Hochmut, Herr.»
«Sie, meine Dame, haben etwas ganz anderes im Sinn, als Sie vorgeben. Sollte es nicht der Herzog von Guise sein?»
Dermaßen verkannt in ihrer reinsten Regung, blitzte die Prinzessin Marguerite aus ihren zornigen Augen den Unverschämten an und brachte enteilend, ehe er sich besinnen konnte, den Ausgang hinter sich.