Draussen, vom hellen Tag zuerst noch behindert, erkannte Henri, daß sie nicht weit gekommen war. Ihr Bruder, der König, hatte sie eingefangen und hielt ihren Arm so fest, daß sie das Gesicht verzog. Dabei sprach er mit höchst bösartigem Schnauben auf sie ein: zu verstehen war es nicht. Dennoch war klar, daß er den letzten Streit mit angehört hatte. Was alles vorausgegangen war, davon konnte er nichts wissen. Der junge Henri erschrak in der Erinnerung; durch seine Brust stieg es auf, heiß wie ein Quell im tiefen Fels. Dies, genau dies fühlt auch sie! Umsonst will sie sich wehren!

In Wirklichkeit aber gelang es Margot, sich loszureißen. Stolz und wütend richtete sie sich vor ihrem Bruder auf.

«Sie werden mich nicht zwingen, Sire, einen Hugenotten zum Mann zu nehmen. Mit Ihren Intrigen war ich niemals einverstanden. Man wußte sehr wohl, welches meine Religion war, und dieselbe will ich behalten.»

Karl der Neunte war anfangs erstaunt über soviel Hartnäckigkeit bei seiner guten Schwester. «Intrigen» wagte sie die Pläne ihrer Mutter, Madame Catherine, zu nennen! Dann änderte er seine Haltung; übrigens hatte er inzwischen Henri bemerkt. Laut sagte er: «Deshalb fürchte nichts, meine dicke Margot! Katholisch wirst du bleiben bei deinem Hugenotten.» Leise setzte er etwas hinzu, das wahrscheinlich eine Drohung war, vielleicht der Name ihrer Mutter, denn der Blick der Prinzessin wich kurz und scheu ab, nach dem Fenster dort oben. Infolgedessen sah der Bruder ihren Widerstand als beendet an, nahm sie bei der Hand und führte sie gemessenen Schrittes dem ihr bestimmten Herrn und Meister zu.

«Da hast du meine dicke Margot», sagte Karl der Neunte zu Henri von Navarra.

Verlegenheit ließ er nicht erst aufkommen. «Navarra, wir haben uns nicht begrüßt, denn ich war mit den Hunden beschäftigt. Wir wollen es in angemessener Form nachholen.»

Sofort entfernte er sich zwanzig Schritte weit, klatschte in die Hände — und er mußte wohl seine Befehle vorher erteilt haben, auf gründliche Weise sogar: die beiden in ihrem Labyrinth hatten ihm die Zeit gelassen, deren er bedurfte. Eine andere hätte zwar alles von noch längerer Hand vorbereiten können.

Von zwei Seiten der schönen Gartenfront des Schlosses Louvre bewegten sich zwei Züge festlicher Herren, der eine in der Richtung des Königs von Frankreich, der andere bis hinter den König von Navarra. Das Haus entlang nahmen Soldaten ihre Stellungen ein, Schweizer Wache links und rechts französische Garde. Gemeinsam schlugen diese einen Trommelwirbel, bis alle Herren auf ihren Plätzen waren. Gleich nachher erscholl aus dem vordersten Saal die feierlich lieblichste Musik von Violinen und Flöten.

Die mittlere Tür hatte sich inzwischen geöffnet. Hervor schritten die Damen, viele schöne Fräulein, aber alle geleiteten nur, ganz wie die Perlen die großen Diamanten umgeben, die beiden kostbaren Prinzessinnen, die, ihrer Kostbarkeit bewußt, einander an zwei hochgehaltenen Rosenfingern führten und die Füße setzten, als könnten sie abbrechen. Das waren Marguerite von Valois und Catherine von Bourbon, und so einstudiert sie gingen, blieben ihre Bewegungen schnell und launisch. Im Takt der Musik gelangten sie zwischen den beiden Zügen der Herren hindurch. Die Sonne brachte die Prinzessinnen von oben bis unten zum Schillern und Glänzen, ihren Goldstoff, ihre bestirnten Frisuren, die feine und auserlesene Haut, als sie anhielten und sich umwendeten nach dem Haupt- und Staatsvorgang, der alsbald beginnen sollte. Hierbei waren sie selbst nichts weiter als Nebenpersonen und schmückendes Beiwerk, wie ihnen in ihrem spöttischen Sinn wohl bekannt war. Sowohl die anspruchsvolle Valois wie die kindliche Bourbon fühlten sich belustigt und teilten es durch einen leichten Druck ihrer Finger einander mit.

Auch begegneten die Geschwister Henri und Catherine sich mit den Blicken. Was sie sagten, hieß ungefähr: ‹Unser kleines Schloß in Pau, der Gemüsegarten und drüben das wilde Gebirg! Kann man so viele Umstände machen, wie diese hier! Aufgepaßt, es will gelernt sein. Woher hast du eigentlich dein schönes Kleid? Und du? Von wem denn sonst, als von unserer lieben Mutter!›

Dies stumme Gespräch hatte eben nur die Dauer eines Augenblicks. Karl der Neunte machte schon den Anfang mit seiner großen Zeremonie. Henri hörte hinter sich sagen, entweder von d’Aubigné oder von Condé, La Rochefoucauld, wenn es nicht der junge de Léran war: «Sire!» raunte einer. «Ahmen Sie dem König von Frankreich alles genau nach!»

«Das ist wirklich das erstemal», erwiderte er, indes er aber feststellte, daß Karl diese Sache von Grund auf innehatte. Karl tat in seiner weißen Seide, seinem Federbarett, den kurzen Pluderhosen und langen Strümpfen — einen einzigen Schritt nur tat er; es war das Zeichen für seine beiden Brüder d’Anjou und d’Alençon, sich ihm dicht hinter den Schultern zu halten; aber darin lag alles: Ich und mein Haus — soviel Stolz und Hoheit, daß der früh vergemeinerte Valois auf einmal wieder von überzüchteter Feinheit schien wie als Jüngling. Zugleich wurde die Musik verstärkt durch Holzbläser. Lieblich war ihr Schall gewesen, majestätisch wurde er — bis zu einem neuen Trommelwirbel.

Nun erstreckte sich oberhalb dieses Königs, seines feenhaften Palastes und in Glanz geworfenen Gefolges ein hoher, heller und leichter Himmel. Alle Töne wurden weithin getragen, besonders über das Wasser des Seineflusses, das von der Mauer des vornehmen Gartens nur getrennt war durch ein rauhes und vernachlässigtes Stück Ufer. Schon war dieses erklommen von einigem Fußvolk, die Kräftigsten versuchten auch die Mauer zu stürmen. Die Wache stieß sie ohne weiteres hinunter mit den Stangen ihrer Hellebarden; deswegen freuten sich doch alle, die etwas erhaschen konnten von dem Schauspiel der Großen, und sogar wer gar nichts sah, machte munteren Volkslärm.

Ein Fenster aber droben in der Gartenfront des Louvre klirrte leise, niemand hörte es, und durch den entstandenen Spalt schob sich, aus Falten hervor, ein bleifarbenes altes Gesicht. Das beobachtete mit Augen wie Kohle, was, von ihm selbst ausgedacht und eingegeben, dort unten vor sich ging: die feierliche Begrüßung des katholischen mit dem Hugenottenkönig, die Heranziehung der beiden königlichen Brüder, das Aufgebot so vieler stattlicher Edelmänner. ‹Das muß dem kleinen Bearner und seinen schlecht angezogenen Leuten den Eindruck machen, als wären sie selbst weiß was und muß sie sehr im Vertrauen bestärken!› Dies dachte das bleifarbene Gesicht und verzog die schweren Wangen.

Von ihrem Platz konnte nur Margot es sehen, und ohne daß sie den genauen Grund gekannt hätte, wurde ihr schwach. ‹Was tue ich! Das grade wollt ich nicht, und es wird auch nicht gut gehen. Mir ahnt Furchtbares, wenn ich es noch weiter kommen lasse. Jetzt grade müßte ich den Guise wiedernehmen, obwohl ich mit ihm fertig bin seit heute — damit es trotz allem nicht wirklich Hochzeit gibt mit meinem Henri, den ich doch liebe wie mein Leben!›

Ganz allein blieb Margot mit ihren Ahnungen, ihrem Gewissen. Alle, sogar ihr geliebter Henri, waren vollauf beschäftigt mit dem äußeren Vorgang. Übrigens nahm dieser alsbald auch Margot wieder in Anspruch und erwies sich, wie gewöhnlich der äußere Vorgang, stärker als ihre innere Stimme. Ihr Henri hatte seinerseits die Augen überall. Ausgenommen das Gesicht am Fenster, entging ihm nichts, weder die wahrhaft königliche Anordnung noch die Gesichter, und nicht einmal das Volk, wie es sich auf seine Art beteiligte an dem Ballett. So nannte er für sich die große Zeremonie, denn zwar fehlte es ihm an unbestimmter Ahnung: er behielt dafür seinen kritischen Witz, den schüchterte kein äußerer Vorgang ein. Daher sah er sich gegenüber lauter Gesichtern, die er als bestellt — bestellt, geliefert und bezahlt — erkannte.

Inzwischen ahmte er die einzelnen Bewegungen des Valois nach, setzte gleichfalls den Fuß an, ließ ihn ebenso in der Schwebe, nahm ihn zurück, damit der Weg länger und ausdrucksvoller wurde. Er hatte neben, vielmehr halb hinter sich seinen Vetter Condé: das war alles, was er vom Blut seines Hauses zur Hand hatte. Sooft drüben der König von Frankreich und seine Brüder eine geöffnete Hand einladend hinstreckten oder sie auf die Brust drückten oder den Hut aufhoben, beeiferten sich auch Henri und sein Vetter — beide übrigens im gebotenen Glanz der Kleidung, womit sie auf ihrer Seite fast die einzigen waren. Die beiden Gruppen rückten vor, zur Musik und einer Art geistlichen Tanzes, durchaus im Sinne der Erwähltheit und Heiligkeit des Königtums. Rückten einander näher und blieben dabei allerdings nicht mehr die gelungene Gesamtheit, sondern Einzelheiten fielen auf, und diese enttäuschten natürlich nach jedem gelungenen Ganzen. Besonders wurden immer fragwürdiger die Gesichter, die bestellten Gesichter.

‹De Nançay ist beileibe mein Freund nicht. Hüten wir uns! Er ist Hauptmann der Leibwache. Ich sehe voraus, daß ich sein Gesicht noch einmal kennenlernen könnte, wenn es nicht mehr auf Bestellung ehrfürchtig lächelt. Die Hauptsache bleibt, ihnen soviel Ehrfurcht beizubringen, daß sie kein Ballett mehr dazu brauchen. Das sind alles Gesichter, die uns nichts vergessen haben und wir ihnen nichts. Gehört das andere Lächeln nicht einem gewissen de Maurevert?›

«Vetter, heißt der da de Maurevert?»

‹Auch das wird noch Lächeln genannt; aber gewiß ist, daß er lieber töten möchte als tanzen! Den de Maurevert merke ich mir.›

Indessen können sogar die glaubwürdigsten Erkenntnisse ausgewischt werden und vorläufig in Vergessenheit geraten, wenn gerade zufällig ein persönliches Unbehagen dazwischenkommt, zum Beispiel das Gefühl der eigenen Lächerlichkeit. Dies aber trat ein, als Henri endlich aus geringem Abstand den Spott bemerkte auf Gesichtern, die sich dort hinten wohl geschützt meinten. Henri wußte sofort, was den Höflingen ihre Überlegenheit verschaffte: die Armseligkeit seines Gefolges. Diese Enthüllung hatte er heimlich die ganze Zeit befürchtet und deshalb um sich her die Bestgekleideten der Seinen versammelt. Es waren nicht viele, und nahe vor die andere Partei gelangt, konnten sie nicht länger verdecken, was dahinter kam: der Zug der abgetragenen Koller und bestaubten Schuhe. Die waren da, nicht anders, als sie nach langem Warten vor dem Tor der Zugangsbrücke endlich hatten eindringen dürfen in den verhaßten Louvre — natürlich nur der kleinste Teil von ihnen. Die machten keine bestellten Gesichter: ihre Gesichter waren verwittert zum Unterschied von den glatten, und gegenüber den höflichen blieben sie hart und fromm. Drüben eitel Glanz und Förmlichkeit, hier die unverstellte Armut, die gekommen ist, zu fordern. Diese führen Krieg, damit sie leben, manche aber um des höheren Lebens willen, sie nennen es einmal: die Religion, und einmal: Freiheit.

Henri fühlte sich lustig werden, zum erstenmal, seit er hier war. Er hätte laut aufgelacht, mit besserem Recht wahrscheinlich, als die Höflinge grinsten. Statt dessen warf er sich vor Karl dem Neunten zuerst an die Brust, dann neigte er den Rumpf bis auf die Füße und streifte mit der rechten Hand im Halbkreis über den Boden. Er wiederholte diese Übung zu beiden Seiten des Königs von Frankreich und würde sie sogar in seinem Rücken ausgeführt haben, indessen zog Karl den Spaßvogel in seine Arme und gab ihm den Bruderkuß auf beide Wangen, wobei er ihm heimlich die Faust in die Rippen stieß. Einer wußte so gut wie der andere, was gemeint war: dieselbe Parodie der Ehrfurcht, die einst der Siebenjährige aufgeführt hatte mit dem Zwölfjährigen.

«Du bleibst ein Narr», sagte Karl so, daß niemand außer Henri es hörte. Dann ging er zu der feierlichen Vorstellung seiner Brüder über, als hätte Henri nicht mit dem einen die Schulbank gedrückt und später ihm im Felde gegenübergestanden. Mit beiden aber hatte er dumme Streiche verübt. In der Front des Louvre klirrte währenddessen ein Fenster, das geschlossen wurde, weil der Zweck der Veranstaltung erfüllt und der Streich gespielt war. ‹Der junge Mann vom Lande mußte jetzt den Eindruck einer etwas eigentümlichen, sonst aber nicht üblen Familie gewonnen haben›: so dachte eine alte Frau, die auf ihre Art auch Humor hatte.

In dem Orchester traten jetzt alle anderen Instrumente zurück hinter den Harfen, es war das Zeichen für die Damen. Damit sie es nicht überhörten, winkte der Erste Edelmann de Miossens ihnen noch besonders. Sie setzten sich auch richtig in Bewegung, voraus die beiden Prinzessinnen mit hochgehaltenen Rosenfingern, die einander kaum berührten, und auch ihre Füße schwebten scheinbar nur. Vor den beiden Königen angelangt mit ihrem blütenhaften Gefolge junger Fräulein, sanken die kostbaren Prinzessinnen langsam in die Knie — oder doch fast in die Knie, denn alles wurde nur angedeutet, auch der Handkuß für den König von Frankreich, dessen edle Haltung hier ganz unnachahmlich schien. Er tat, als höbe er seine Schwester zu sich empor, und dann führte er sie ihrem Herrn, dem König von Navarra, zu. Keineswegs sagte er diesmal: Da hast du meine dicke Margot.

Karl selbst nahm an seine Seite die junge Catherine von Bourbon. Mit ihr eröffnete er den Zug, der im Takt gravitätischer Tanzmusik um den Garten zum Vogelhaus schritt. Hier war zu sehn das fremdartige Gefieder «von den Inseln»; die Sonne brachte es zum Schillern und Glänzen, nicht anders als die Prinzessinnen selbst. Überaus seltsam war die Voliere und mußte den Gästen gezeigt werden. Wirklich machte sie großen Eindruck. «Té!» rief ein Hugenott. «Den sprechenden Vogel möchte ich mitnehmen, aber nur, wenn er auch die Messe lesen kann.» Darüber lachten seine Gefährten schallend. Die anderen lachten nicht.

Diese Vögel «von den Inseln» hatten nicht nur die Gabe der Rede: verschiedene, besonders die kleinsten, buntesten, konnten so hart zwitschern, daß man nichts hörte außer ihnen, auch den munteren Volkslärm nicht. Die Mauer war allmählich doch von dem Flußvolk erstürmt worden, viele hockten oben und freuten sich laut an dem Schauspiel der Großen. Die Herren, Damen und Vögel aber befanden sich unweit der Mauer, daher wurde die Wache heftiger in ihrer Abwehr. Ein Junge, dem anzusehen war, daß er in den Garten springen wollte, wurde zurückgestoßen, diesmal nicht mit der Stange der Hellebarde, sondern mit ihrer scharfen Spitze. Unter schwachen Schmerzenslauten fiel er hintenüber und verschwand: das sahn und hörten wenige. Henri und Margot hatten es bemerkt.

«Das erste Blut!» sagte Henri zu Margot.

Sie war weißer geworden als ihre Schminke.

«Ein gutes Vorzeichen!» hauchte sie verstört.

Laut rief Henri: «All das Federvieh erinnert mich an gebratene Hühner und daran, daß manche von uns lange nichts gegessen haben!»

Dies fand den Beifall seines hungrigen Gefolges. Die Höflinge ihrerseits warteten ergeben, bis es ihrem König einfiel, aufzubrechen.

Dies geschah dermaßen, daß die Gesellschaft sich gleich unten trennte. Die Könige, die Prinzessinnen, Prinzen, darunter Condé, und das Ehrenfräulein Charlotte de Sauves benutzten eine kleine Treppe, die berühmte kleine Treppe der geheimen Besucher, der Gnaden und Verhaftungen. Das Gefolge stieg über die große allgemeine.