Dort wurden sie sogleich unsichtbar. Der «Brunnenschacht des Louvre» war angefüllt mit tiefer Dunkelheit. Hinter mehreren Fenstern in verschiedener Höhe der Mauern flackerte schwach ein rötlicher Lichtschein, daran erkannte man erst, wie eng die Finsternis dazwischen anstieg. Henri stand ohne Regung, bis er jemand wispern hörte: «Hierher!» Er folgte hinter einigen Vorsprüngen und durch einen unbeleuchteten Gang der Stimme, die wiederholte: «Hierher!» Endlich schlichen sie in ein Gelaß, der König von Navarra und sein Erster Kammerdiener d’Armagnac, wo bei einer einsamen Funzel sich Schatten über Schatten stürzten.

Der Edelmann als Diener verriegelte die schwere Tür und begann eine seiner Reden. «Die Mauern hier sind drei Fuß dick, das Fensterloch liegt zehn Fuß hoch. Das Volk, das in dieser Höhle haust, sitzt in der Kneipe, weshalb auch nicht der leiseste Zweifel besteht, daß wir unbelauscht sind!»

«Leuchte dennoch die Winkel ab!»

Sieh da! Man fand ein schönes Fräulein. Das tanzte nicht im Festsaal unter den zwanzig Kronleuchtern, besteckt mit Wachskerzen: es war dem König der Hugenotten nachgeschlichen, wollte wissen, auf was er heute abend ausging, und Bericht ablegen bei Madame Catherine, die dergleichen immer gnädig aufnahm. Was blieb übrig, als das schöne Fräulein hinauszuführen und es irgendwo im völligen Dunkel einzusperren.

«Ich laß es später frei», versprach d’Armagnac. «Jetzt handelt es sich darum, daß Eure Majestät unerkannt aus dem Schloß gelangen.»

«Das ist schon mißlungen, die alte Königin erfährt alles.»

«Zu spät für sie. Wer Sie, Sire, heute nacht zu fürchten hat, muß mit eignen Augen zusehn, wie ich Sie verkleide. Nachher bemerkt es keiner mehr.» Wobei er sich an die Arbeit machte. Sein Herr ähnelte zum Schluß dem Ärmsten seiner Leute, in seinem geschwärzten Gesicht hing ein falscher Bart.

«Ich habe Ihnen Falten gemacht», sagte der Erste Kammerdiener. Sogleich nahm Henri die Haltung eines älteren Mannes an. Auch einen Sack bekam er zu tragen. «Reisig. Warum Reisig?»

«Weil es die leichteste Last ist. Sie heißen Gilles und haben in Paris eine Schwester.»

«Reisig bring ich ihr?»

«Nein, sondern den Schinken, der drunter liegt. Untersucht man Sie am Tor des Louvre und findet den versteckten Schinken …»

«Dann bin ich beglaubigt als Gilles. Dein guter Einfall! Sag mir das Losungswort?»

«Schinken.»

Hierüber lachten sie zusammen hinter den drei Fuß dikken Mauern, bis sie genug hatten. Dann machte Henri sich auf den Weg, kam richtig durch den Torbogen, in dem die Wache Karten spielte: er brauchte nur «Schinken» zu rufen. Auf der Brücke nahmen sie es genauer, ließen ihn den Sack ausräumen und behielten den Schinken.

«Jetzt pack dich, alter Ketzer, nach dem Wirtshaus, wo deine sogenannte Schwester als Magd dient!»

Draußen humpelte der junge Henri gebückt, als trüge er Ziegelsteine, und da ihm in der Straße Österreich durchaus niemand begegnen wollte, nahm er, immer humpelnd um der reinen Kunst willen, mehrere dunkle Ecken, bis in einer der unbeleuchteten Gassen ein schwach erhelltes Erdgeschoß erschien. Die menschlichen Schatten und der Gesang kündeten von weitem das Wirtshaus an. Sowohl das Haustor als die Tür des Gastzimmers standen halb auf, wegen des Rauches vom Kamin, worin ein Spieß mit Hühnern gedreht wurde. Eins der Mädchen versah dies Amt, während die beiden anderen einschenkten oder den Gästen auf den Knien saßen und mit ihnen sangen. Der Wirt schlug Takt zu dem Lied. Er sah aus wie ein Bauer, in seinen Kleidern hing Stroh. Die Gäste waren bewaffnet, auch ein ganz kleiner, der krächzte. Es war ein munteres Liedchen von einer unvorsichtigen Magd, die einem Hugenotten nachgegeben hatte wegen seines hübschen Knebelbartes, aber was kam dabei heraus? Ein Kind, das nicht getauft werden konnte, denn es brachte einen Pferdefuß mit zur Welt, und nicht lange, so drehte es seiner eigenen Mutter den Kopf um, bis das Gesicht hinten saß!

Die brennenden Scheite dort unten waren die ganze Beleuchtung; der Lichtschein flackerte um die lärmenden Mäuler, aber quer über die Stirnen lag ein Balken Dunkelheit. Henri, der von draußen zusah, bekam durchaus den Eindruck von Tierfratzen und einer Höhle der Dummheit. Ihn überkam Widerwille an seiner Rolle als kleiner Mann. Andererseits war es reizvoll, allein und ohne Waffen unter diese wohlgezählten sechs Kerle zu treten. Da wurde er ohne Umstände beiseite geschoben von einer sehr langen Persönlichkeit, die auch gleich eintrat und laut guten Abend wünschte. Er erkannte die tiefe Stimme und noch mehr die Gestalt: dem braven Du Bartas half es nichts, daß er Henri den Rücken zuwendete. Er sagte: «Ich komme, um euer schönes Lied besser zu hören.»

Sie waren sechs, aber nur der Kleinste erwiderte etwas, hinter dem schweren Eichentisch hervor.

«Du bist grade lang genug, lang mir doch eine Wurst von der Decke!»

Du Bartas faßte wirklich hinauf. «Nur, wenn du ganz allein noch einmal das Lied von dem Hugenottenkind krächzest.»

Der Kleine hütete sich, aber eine der Mägde hängte sich an den Arm des großen Hugenotten und versicherte ihm: «Du bist in dem Lied nicht gemeint. Schließlich darf man singen, oder ist es verboten? Wenn du mir zufällig ein Kind machen würdest, ich fürchte nicht, daß es einen Klumpfuß hätte.» Und hierüber kreischten alle drei Weiber. Die Männer verhielten sich düster hinter dem Tisch, verzogen auch nicht die Miene bei dem, was der Wirt tat. Dieser Bauernlümmel schlich hinter dem Rücken Du Bartas’ zum Feuer, ergriff einen angeglühten Knüppel und schätzte nur noch ab, wo er den Ketzer am sichersten träfe. Das war der Augenblick für Henri: schnell hervor, den Kerl beim Handgelenk gepackt und einige Reiser aus seinem Sack an das Scheit des verräterischen Wirtes gehalten, worauf er sie brennend umherschwenkte vor der bösen Fresse, so lange, bis der Geängstete sein Holz zurück ins Feuer warf. Dann ließ Henri die Reiser zu Boden fallen.

«Lauf, Kerl, bring dem Herrn deinen Wein, und womöglich keinen sauren! Mir ist das Geld ausgegangen, oder nimmst du noch mehr Holz in Zahlung?»

«Trink mit mir», sagte Du Bartas wie zu einem alten Kameraden. Sie setzten sich an das freie Ende des Tisches zunächst der Tür, und zwischen ihnen und den anderen Gästen des gemeinen Wirtshauses lag derselbe gehässige Zwischenraum wie vorher an der Tafel des Königs, in seinem Schloß Louvre.

Der Wirt stellte die Kanne hin und murrte, ohne jemand anzusehn: «In meinem Dorf haben sie den Leuten die Füße in das Herdfeuer gehalten.»

Er sagte nicht, wer; die beiden Hugenotten aber verständigten sich darüber stumm. ‹Wir wissen, daß wir oft nicht besser waren als Räuber!› Du Bartas bekam den enttäuschten, hoffnungslosen Ausdruck, mit dem er von der Blindheit und der Schlechtigkeit der Menschen zu reden und zu dichten liebte. Der junge Henri war nahe daran, auszurufen: Das habe ich dem Admiral längst vorgehalten! Aber unseren Glauben haben sie nicht: so hieß seine ganze Rechtfertigung, wenn wir geplündert hatten und gefoltert. An diesen Menschen hier ist zu sehen, wohin man kommt mit dem Streit um die Religion!

Indes, erstens war das Lästerung, sogar schon als Gedanke, und erschreckte den Sohn der Königin Jeanne im Tiefsten. Außerdem hoffte er, daß Du Bartas ihn wirklich nicht wiedererkannt hätte und nur zufällig hier wäre. Daher biß er sich in die Zunge und schwieg. Übrigens hielt der Wirt noch mehr Freundlichkeiten für sie bereit.

«Morgen früh muß ich zur Beichte gehn», knurrte er, ohne sie anzusehen. «Der Pfarrer hatte mir verboten, den Briganten zu essen und zu trinken zu geben. Seitdem so viele von ihnen sich in Paris breitmachen, greifen sie Christen an und belästigen Mädchen. Übrigens hat noch keiner von ihnen sein Geld sehen lassen. Da sitzt der erste, der kein Zechpreller ist», sagt er in einem Ton zwischen Kriecherei und Verhöhnung. Henri sprang vor Entrüstung von der Bank auf.

«Setzen!» fuhr Du Bartas ihn an. Wie unwahrscheinlich war es hiernach, daß er ihn erkannt hatte. ‹Ich armer kleiner Mann›, fühlte Henri, als wäre es wahr gewesen. Geschwärztes Gesicht, Falten und angegrauter Bart: dazu machte er sich auch die passende Stimme. «Aufgepaßt, Herr! Der rote Kerl hinter den andern zieht heimlich sein Messer.»

«Ich seh es», antwortete Du Bartas.

Der rote Kerl versuchte, gedeckt von den anderen, die Ecke zu verlassen. Der Kleine, der kaum über den Tisch sah, lenkte die Aufmerksamkeit von ihm ab, er krächzte: «Der Junge der Krämerin ist verschwunden!»

«Die Hugenotten schlachten Kinder», erklärten die anderen ihm, scheinbar unbekümmert um die Fremden. «Es ist bekannt, sie verüben Ritualmorde.»

Dies wäre schwerlich gut abgegangen, aber neue Gäste trafen ein: Hugenotten, darunter zwei aus seinem berittenen Haufen. Henri kannte ihre Namen und ihre Kriegstaten. Ihre beiden Begleiter sahen verwegen aus: Schnapphähne hätte man sagen müssen, wären sie nicht von der Religion gewesen. Hiermit waren die Bestände der Parteien auf gleich gebracht am Wirtstisch, infolgedessen gab der rote Kerl seinen verdächtigen Plan auf, und alle Waffen auf der anderen Seite verschwanden. Die beiden Reiter erklärten Du Bartas, daß sie, fremd in Paris, im Dunkeln auf zwei Glaubensgenossen gestoßen seien. Sonst hätten sie niemals ein Wirtshaus gefunden. Ihr Zustand schien im Gegenteil zu beweisen, daß sie schon mehrere hinter sich hatten, und gesittet war es dort nicht zugegangen, sie sahen zerrauft aus. Henri vergaß auf einmal den kleinen Mann, den er vorstellte, er herrschte die Reiter an. «Schnapphähne aufsammeln! Händel suchen! Ihr seid der Schandfleck unserer Partei!»

Darüber lachten sie kräftig, und Du Bartas stieß Henri scharf in die Rippen, wodurch ihm bewußt wurde, daß er im Verhältnis zu seinem Aufzug sich allerdings komisch benahm. Daher schwieg er und ließ sie machen. Sie klimperten aber mit Geld in ihren Taschen, legten einiges im voraus auf den Tisch und verlangten dafür die Hühner, die lange genug gewendet schienen, so schön goldbraun glänzten sie. Herrn Du Bartas und auch den spaßhaften kleinen Alten luden sie großherzig mit ein zu dem Essen — schlangen es dann aber merkwürdig schnell hinunter, horchten dazwischen auch wohl auf entfernte Geräusche. Für die Aufmerksamkeiten der Mägde fehlte es ihnen ganz und gar an Zeit. Kaum gesättigt, machten sie sich davon, Reiter und Schnapphähne. Zuerst hörte man sie leise auftreten, etwas später entstand Getrappel wie von Laufenden.

Du Bartas sagte auf jeden Fall: «Du wirst nicht noch einmal erzählen, Wirt, daß Hugenotten etwas schuldig bleiben.» Ihm antwortete Schweigen, währenddessen näherten sich marschierender Tritt und Fackelschein: die Straßenwache. Der Offizier und ein Mann erschienen in der Tür: «Wo sind die Hugenotten?»

«Da!» rief der Wirt, den Finger ausgereckt nach dem Langen und dem kleinen Alten. «Hühner frißt das, und ihr Geld kam mir gleich nicht katholisch vor.» Der rote Kerl, der Verkrüppelte und die anderen drei Gäste samt den Weibern bestätigten es unverlangt. Erst auf strenge Fragen des Offiziers wurde zugegeben, daß noch mehrere hier gewesen waren. Aber das Geld war von diesen beiden! «Gewiß haben sie jemand überfallen und ausgeraubt: wir dachten es uns.» Sie wurden dann auch mitgenommen.

Du Bartas bekümmerte sich nicht weiter um Henri, sondern ging mit dem Offizier voran. Es war zu vermuten, was er ihm eröffnete, denn es hatte zur Folge, daß die Wache ihren Weg änderte. Bald kam man vor ein Haus, das Henri erkannte: Palais Condé, hierher wäre er gleich anfangs gegangen, hätte nicht ein verkleidetes Abenteuer ihn verlockt und aufgehalten. Er wurde schon längst erwartet. Diener mit Laternen stürzten beflissen herbei, und sogar über das sonderbare Aussehen des Königs von Navarra waren sie unterrichtet, denn sie verneigten sich vor ihm bis auf den Boden. Da tat dies plötzlich auch Du Bartas.