Der Sohn der Toten auf dem Weg zu seiner Hochzeit blickte munter umher, in seiner Lust zu reiten. Der Wind brachte ihm schon eine Ahnung der Düfte vom Hof, das Essen, die parfümierten Menschen, die Frauen, die sich nicht bitten lassen, sondern umgekehrt, sie bitten uns. Er beschloß, bei ihnen Erfolge zu haben, dafür war er kühner als andere, und in beiderlei Hinsicht, geistig und körperlich, war er seiner sicher bei dem Geschlecht. Auch Margot sollte mit ihm zufrieden sein: die witzigsten Sachen fielen ihm für sie ein. Man konnte es den Freunden nicht wohl eingestehen, aber der schlechte Ruf der Braut hatte nichts Abstoßendes, im Gegenteil, sie versprach mehr. In diesem Zustand fand der junge Reisende die neugierigen Dorfmädchen meistens begehrenswert, saß mehrmals ihretwegen ab und küßte sie. Nachdem sie schon davongelaufen waren, wunderten sie sich noch, wie gut ein Hugenottenprinz küssen konnte.

In dem angewachsenen Haufen der Reiter wurde hinten anders gesprochen als vorn, und die Zuletztgekommenen waren noch ganz erfüllt vom Zorn über ihre ermordete Königin. Sie ritten zu keinem Fest, als nur zu der Lustbarkeit ihrer Rache: jeden am Hof wollten sie herausfordern. Ihre Gesinnung drang zuweilen nach vorn, auch Henri und seine Freunde wurden von ihr ergriffen. Mornay kündigte dann die alleräußersten Gefahren an, die bei Hof auf sie warten sollten.

Du Bartas verfiel seiner Verzweiflung an der Menschennatur, und Agrippa d’Aubigné begriff die Absichten Gottes, wenn er uns Feinde gab. Henri erwiderte ihm darauf mit verkrümmtem Mund, die Augen verwirrt vom Entsetzen und der Wut:

«Um die alte Giftmischerin hab ich ihn nicht gebeten. Die schuldete Gott mir nicht!»

Ja, zuzeiten, da der Haß des ganzen Haufens in ihm selbst vereinigt war, mußte er plötzlich fragen: ‹Bin ich denn verrückt? Reite auf meine Hochzeit mit der Tochter der Mörderin, und noch steht vielleicht der Sarg meiner Mutter über der Erde! Wer aber wird das nächste Opfer sein? Ich treibe mein Pferd an und habe es eilig, nicht nur die Ehre preiszugeben, sondern sogar mein Leben. Das Gift im Leibe muß furchtbar sein›, dachte Henri und fühlte schon im voraus eine unbekannte Kälte und Lähmung.

Seine Furcht und sein Haß machten ihm Ohren für die Stimmen weiter hinten, die sich empörten gegen diese friedliche Fahrt. Der Friede wäre gebrochen! Das Heer müßte zusammengezogen, der Admiral zurückgeholt werden. Paris, das vor ihnen schon gezittert hatte, sollte sie diesmal kennenlernen, und nicht als liebe Gäste! Deswegen wurde haltgemacht, beraten und gezögert. Deswegen vergingen die Wochen. Kamen aber endlich alle, sogar Agrippa, ins Schwanken, dann grade befahl der König von Navarra: «Aufsitzen! Weiter!» — und unterwegs im Reiten sang er, wie das Kind, das durch den dunklen Wald muß.

So erreichte er einen Ort, wo es schon zu spät war, umzukehren, denn hier erwarteten ihn die ersten, die den Bräutigam der Prinzessin von Valois feierlich einholen sollten; darunter sein Onkel, der Kardinal von Bourbon. Von diesem Augenblick an war der ganze Haufe widerspenstiger Hugenotten der Gefangene eines Kardinals, der ritt im roten Mantel neben ihrem König. Tags darauf, den neunten Juli, erreichten sie die Vorstadt Saint-Jacques: dort brachen sie in Jubel aus, obwohl ein erbitterter Jubel, denn an der Spitze der protestantischen Herren, die ihren Henri erwarteten, hielt der einzige selbst, Coligny, Held ihrer Kriege. Sein altes Gesicht war aus ihren Glaubenskämpfen allein übrig nach dem Fortgang der Königin Jeanne. Durch diese beiden, Jeanne und den Herrn Admiral, waren sie keine verfolgten Bekenner mehr, sondern standen als Macht da, sollten einziehen! Auf einmal begeisterten sie sich wild, schwenkten die Hüte, auf ihren braunen Gesichtern zitterten die Kinnbärte, und sie riefen ihre hohen Lieblinge an, die sich umarmten. Sie lärmten: «Herr Admiral!» und tobten: «Unser Henri!» Noust Henric war ihr Laut, das ländliche Latein, das niemand hier kannte.

Merkwürdig war, daß sie trotz ihrer geräuschvollen Ankunft in den Straßen völlig allein blieben. Bevor es seiner Truppe auffiel, sah Henri selbst die abgeräumten Auslagen und geschlossenen Läden. Er hatte sich einige Hoffnung gemacht, am Tor der Stadt würden die Schöffen ihn empfangen, mehr oder weniger barhäuptig, und wenn nicht alle, dann ein paar. Nein, nichts von Ratsherren, und auch sonst keine Bürger. Eine Katze lief vor den Hufen der Pferde schnell noch über die Straße. Ein Unbehagen griff um sich in dem reitenden Haufen, und er wurde stiller.

Die Straßen waren eng, die meisten Häuser schmal. Sie hatten Giebel, hölzerne Balken stützten den Stein, häufig führten Treppen außen hinauf. Das Holz war farbig gestrichen, jedes Haus hatte seinen Heiligen, und nur dieser blickte vom Balken der Tore den Hugenotten nach. Mehrmals hörten sie «Briganten!» rufen und glaubten nahezu, der Heilige wäre es gewesen.

Einige Kirchen und Paläste traten hervor in neuartiger Pracht, ein Glanz, der nicht mehr Stein, sondern Zauber und Gedicht war: herbeigehoben aus anderen Welten. Mehreren der Reiter ging das Herz weit auf, und sie grüßten in ihren beglückten Herzen die heidnischen Götter an Dächern und Portalen, ja sogar die Märtyrergestalten dieser Tempel, denn solche Heiligen glichen nackten Griechinnen. Den meisten der rauhen Glaubenskämpfer blieb aber ihr Sinn fest verschlossen. Sie hätten nur den Wunsch gehabt, die Götzenbilder umzustürzen, das Blendwerk auszutilgen. Denn es vermaß sich, zu verdunkeln den Herrn.

Der junge König von Navarra, zwischen Kardinal und Admiral, achtete sorgfältig auf Paris, eine fremde Stadt, er hatte sie noch niemals recht angeblickt, als Kind war er gefangengehalten in einer Klosterschule. Ihm entgingen die feindlichen Rufe nicht, er ertappte auch die Leute, die in ihren undurchsichtigen Fenstern eine Klappe zu öffnen versuchten. Neugierige Mägde oder Dirnen, das war alles, was er auf diesem ersten Wege zu sehen bekam, und auch das nur im Ungewissen Schatten. Zu zweien beugten sie sich aus ihren Verstecken vor, ein paar helle Augen blitzten auf, es flirrten rötliche Haare, und weißlich verschwammen die Flächen entblößter Haut. Sie schienen das Geheimnis dieser feindlichen Stadt selbst zu sein, und Henri lehnte sich hinüber nach ihnen, wie sie nach ihm. Weiß und rosenrot, komm hervor, komm hervor, du Fleisch und Blut, Glück versprechend, wärmer als die heidnischen Göttinnen, und getaucht in Farben leicht und dreist, die blühn nur hier! Die Reiter lenken unerwartet um die Ecke, da steht eine in voller Wirklichkeit und Sonne, ist überrascht, will fliehen, aber trifft in die Augen des Königs der Briganten — und bleibt da, auf ihren Fußspitzen, reglos, im Flug erstarrt. Sieht schlank aus und biegsam wie ein der Erde entsprossenes Reis, rückwärts gebogen sind die lang ausgestreckten Finger, der Hals ist hoch und schwank. Das sieht auch aus anmutig gespannt wie eine Frau, die sich fürchtet und sehnt, sogleich umarmt zu werden. Als Henri ihren Augen begegnet war, hatten sie spöttisch gelacht. Als er sie endlich loslassen mußte, waren es Augen der Hingabe, getrübt und blicklos. Auch er mußte sich erst wieder erinnern. ‹Die habe ich!› dachte er. ‹Die andern auch! Paris, ich hab dich!›

Damals war er achtzehn. Mit vierzig, schon ergrautem Bart, weise und schlau, sollte er es endlich erkämpft haben.