Sie hatte aber einen Traum. — Margot in ihrem Traum war Dame Venus selbst und bewachte als Marmorbild ein Labyrinth aus hohen Hecken, die kühl ihren weißen Rücken beschatteten: sie fühlte es genau. Der Stein war mit Gefühl begabt, und in ihm wohnte das Bewußtsein. Hinter ihr, rechts und links der Laube, wußte sie zwei Krieger, die um ihrer Gunst willen einander töten wollten, obwohl keiner von ihnen sein nacktes Schwert auch nur um einen Zoll aufhob. Denn beide waren Figuren, der ihren gleich, waren in harte Hüllen eingeschlossen und auf Sockel gebannt, wie sie selbst. Indessen hätte ihr Gedanke genügt, und der, den sie bestimmte, wäre gestürzt und zerbrochen.
Sie sah aus ihren leeren Augen in eine Landschaft, wo alles auf sie allein, silberner Fluß, beglänzte Ufer, Paläste und die Statuen nur auf Dame Venus blickten. Statuen statt Menschen standen weithin verstreut, und sie sprachen, ohne daß es einen Klang gab. Von dir hängt ab, was geschehen soll. Entscheide dich, bis es Nacht wird. Noch fällt göttliche Sonne auf dich aus der Höhe, erhitzt deine glatten Hüften und durchdringt dich, bis sogar dein Herz schlägt. Mit dem erkaltenden Tage verlierst auch du deine Wärme, deine Kraft. Von der Dunkelheit werden belebt werden die bösen Gewalten und werden vollführen das Ungeheure, das du nicht gewollt hattest. Du warst nur eitel und lau, Dame Venus, denn dein Gefühl ist matt und dein Bewußtsein schwach. Entschließ dich! Entschließ dich! — riefen alle Statuen auf einmal, nicht mehr tonlos, sondern wie Vögel zwitschernd, ja, in den harten Lauten kleiner Vögel «von den Inseln». Bis alles auf einmal verstummte und eine Leere eintrat im Geschaffenen wie auch im Gedachten.
Durch das völlige und überall furchtbare Stocken des Weltalls ertönte eine unerhörte Stimme, mächtig, aber verhallend infolge überwältigender Weite des Raums. Die Träumende mußte ihre ganze Kraft sammeln und schärfer denken als jemals die Wachende: da erkannte sie endlich das Gesicht des Vorgangs. Es war eine Loggia in der Mitte eines großen Palastes, drin stand Gott. Er wartete, ließ sich vorerst nicht mehr vernehmen, gewährte ihr Atem zu holen, damit sie nicht starb von seinem Anblick. Er hatte die Gestalt einer Statue, das Gewand hing um ihn genau und altertümlich gefaltet, ein großer Wind ging und bewegte es nicht.
Die Loggia lag in der Front des Louvre, wo sonst noch keine bemerkt worden war. Zugleich deckte sich das bekannte Gebäude mit dem Urbild des Palastes, den wir das ganze Leben lang im rätselvollen Sinn tragen; erinnern uns seiner wie aus unserer frühesten, schönsten Reise, sollen ihn nie mehr mit Augen sehen, würden ihn übrigens nirgends wiederfinden. Hier aber erstand er leuchtend von unvergänglicher Herrlichkeit und den Arbeiten der Meister — und hieß Sinai. So war sein Name. Gott in seiner Mitte wuchtete steinern, nicht höher als mittelgroß — aber da er die Lider hebt, schaudert es mich selig, und alsbald will ich schreien: Ja, Herr! ohne auch nur seinen Willen gehört zu haben. Denn ich weiß ihn von selbst. Ich soll nicht töten. Jetzt bewegt sich sein kurzer, gelockter, ganz schwarzer Bart. In seine Lippen fließt Blut, so daß sie sich dunkel röten, und er ruft mich an. Prinzessin von Valois! ruft der Herr. Ich fahre zusammen, ich kann mich nicht melden vor Schrecken, weil ich mir erlaubt hatte zu träumen, ich wäre Dame Venus. Das war nur Wahn. Dies erst ist wirklich, ist die heilige Wahrheit. Madame Marguerite, ruft der Herr. Ja, Herr!
So hatte sie sich gemeldet. Zwar verfügte sie nicht über ihren tiefen klangvollen Ton: der war auf Gott übergegangen, er sprach mit ihrer eigenen, sehr verstärkten Stimme. Sie selbst lallte nur vor Gott. Aber Gott hörte sie und nahm sie an. Er sprach zu ihr, damit sie ihn genau verstände, griechisch. Sprach griechisch: Du sollst nicht töten!