Sie hielten an und betrachteten einander, während in den Gängen, schon entfernter, der abziehende Hof lärmte. Schließlich bewegte er sich den gegenübergelegenen Flügel entlang, der Fackelschein sprang von einem Fenster in das andere; zugleich aber dämmerte der Morgen. Das Volk dort draußen konnte gar nicht anders, wenn es zu derselben Stunde aufstand in den Kähnen des Flusses, den Häusern am Ufer, es mußte denken: Schloß Louvre brennt wieder einmal vom höllischen Feuer. Wer weiß, was bevorsteht.

Sie betrachteten einander — dann beschrieb Madame Marguerite mit der vollendet gebildeten Hand eine Bewegung von oben nach unten, die besagte: Entkleiden Sie sich, Sire. Sie selbst entledigte sich ihres Schlafgewandes erst am Rande des Bettes; sie kannte die Fehler ihrer Figur und wußte, daß sie mehr im Stehen hervortraten als im Liegen. Vor allem war sie gesonnen, den Anblick und die Form dieses neuen Mannes in Ruhe zu ergründen. Denn Madame Marguerite war eine Kennerin des Gutgebauten, ob männliche Körper oder lateinische Verse. Ihr neuer Mann nestelte an seiner Halskrause, das Festkleid aus weißer Seide war schwierig zu öffnen. Es sollte ihn in den Schultern breit machen durch gebauschte Ärmel, aber schmal in der Mitte. Die Hüften erschienen stark und fest und um so länger die jugendlich mageren Beine. Bis zu einem gewissen Grade war es möglich, den Eindruck künstlich herzustellen: nicht ohne Sorge sah die gebildete Frau dem Ergebnis entgegen. Aber sieh, es war sogar besser als die Versprechungen der Hülle. Madame Marguerite stellte Vergleiche an und fand zuerst in diesem Fall alle Anforderungen der Antike, die sie fast schon für fabelhaft gehalten hätte, wirklich erfüllt — dermaßen, daß ihr Gesicht vorläufig noch seine gelehrte Neugier und Erhabenheit festhielt. Erst das Blut, das sie unter seiner Haut schwellen sah, erregte auch das ihre; und verloren war die Kennerin, als sie seine rauhen Glieder berührt hatte.

Beide erwiesen sich diesmal, wie noch nie, unermüdlich im Genuß; und zwar machte dies der Wettstreit ihrer Naturen, die einander gewachsen waren. Als Henri in späterer Zeit und von anderen Frauen ganz befangen, leugnen wollte, er hätte Margot je geliebt, da brauchte er für den Zustand dieser Nacht und aller folgenden ein Wort, das auch den Niedrigen und Schwachen geläufig ist, für ihre Versuche, sich aufzuspielen. Indessen hätte er bezeugen können, daß einige Male im Leben das Fleisch sich begeistert bis in den Tod. Vielleicht ist der dann wirklich näher, als es den vom Leben Überschäumenden erscheint, und sie haben nur vergessen, die Winkel abzuleuchten. «Nicht fern ist uns der Tod»: diese geistlichen Worte, Henri mußte sie gehört haben vor einer Weile, und sie waren zusammengetroffen mit seinen innersten Ahnungen. Diese geistlichen Worte schwebten als letztes durch sein von Liebe ermüdetes Gehirn.

Es wurde eine kurze Ruhe, denn bis in den Schlaf hinein bedrängte ihn die Sorge um den Genuß: nie genug, nie genug! Davon erwachte er bald, küßte, die Augen noch geschlossen, den anderen Körper und stieß mit den Lippen auf eine Narbe. Sofort sah er hin, fühlte hin: er verstand sich auf Narben. Sie rührten von Hieben, Schüssen, dem Biß der Zähne her, und wurden beigebracht auf Schlachtfeldern sowohl wie auf den Lagern der Geschlechter. Viel kam für ihre Einschätzung darauf an, welcher Körperteil sie trug. Hat ein Soldat sie dort, wo sie bei Margot saß, dann ist er, wann es auch sei, ausgerissen und im Galopp davongejagt. Man muß deshalb kein Feigling sein; ja, ein König von Frankreich und Navarra, Henri genannt und für seinen Mut bekannt, sollte sich doch selbst einst eine Narbe holen an derselben Stelle. Hier aber handelt es sich um einen der schönsten Körperteile der Frau, die mein, nur mein ist — und hat schon jemand sie gebissen, dann soll es nicht wahr sein! Daher rüttelte er sie, und da sie nicht gleich folgte, wendete er sie, bis er ihre Vorderseite vor sich hatte, und in ihr kaum erwachtes Gesicht fragte er heftig: «Wer hat dich in den Hintern gebissen?»

«Niemand», sagte sie, und es war genau das, was er hören wollte. Wütend rief er: «Du lügst!»

«Ich sage die Wahrheit», versicherte sie, setzte sich auf und begegnete seinem Zorn mit der edelsten Gelassenheit in den Mienen wie auch im Tonfall, während sie heimlich dachte: ‹O weh, das hat er zu früh bemerkt. In acht Tagen hätte es am Ende wenig mehr zu sagen gehabte So dachte Madame Marguerite aus Erfahrung.

«Es hat nur den Anschein von Zähnen!» entgegnete sie, und je unwahrscheinlicher die Antwort, um so glaubwürdiger ihr Ton.

«Es sind aber Zähne! Es sind die Zähne des Guise.»

Dies ließ sie ihn so oft aussprechen, wie er wollte. Einmal wird er genug davon haben, und über meine Brust, die ich ihm langsam zuführe, bis er sie in die Hand nimmt, wird er meinen Hintern vergessen. — Gelegentlich ließ sie sich herbei, ihre reichen Schultern zu heben und ein Wort dazwischen zu werfen. «Weder des Guise noch eines andern.» Das erbitterte ihn nur noch mehr. ‹Wie schwer und fast unmöglich ist es aber auch, sich gegen eine falsche Beschuldigung zu verteidigen! In so vielen Punkten könnte er mich mit Recht anklagen, aber gerade diesen ungerechten sucht er sich aus! Muß ich ihm denn wirklich erzählen, wie meine Mutter und mein Bruder, der König, mich behandelt haben eines Morgens, als sie mich rufen ließen, damit ich Guise aufgäbe und Navarra zum Mann nähme? Er sollte doch die schiefen alten Zähne von Madame Catherine erkennen!›

«Sag es! Sag es!» stöhnte er und hielt sie gepackt.

‹Ein Eifersüchtiger. Und wenn ich es sagte? Wessen wäre er fähig? Wird er mir glauben, daß ich nur seinetwegen, damit ich ihn heirate, geprügelt und gebissen worden bin? Der glaubt es nicht: ich werde auch noch zugeben müssen, daß ich gradewegs von Guise kam. Sehr spannend!›

Plötzlich ließ er sie los und schlug die Kissen. Statt ihrer bearbeitete er mit den Fäusten ihr schwarzseidenes Bett, das so berühmt war, weil vieles sich auf ihm zugetragen haben sollte. ‹Er meint aber mich selbst!› Schon rückte sie weit fort, bereit, hinauszuspringen. ‹Gleich komm ich selbst dran. Der schlägt!› Und Margot achtete ihn hoch und liebte ihn einzig. Daher beschloß sie endgültig, nichts zu gestehen, während er sich qualvoll abarbeitete. «Gesteh! Gesteh!»

Auf einmal änderte er ganz den Ton. «Du wirst nie die Wahrheit sagen. Wie könnte es die Tochter der Frau, die meine Mutter —»

Da war das Wort, da war der Gedanke. Sie hatte bis jetzt noch gelegen und er auf sie hinabgesehn. Nach diesem Gedanken und Wort richtete auch sie sich auf, beide lauschten den Nachklang und sahen einander tief erschrocken an. Ihre nächste Bewegung war, daß sie ihre Blöße bedeckte, seine folgende geschah, als er das Bett verließ. Während er in Hast seine Kleider wieder anlegte, suchten sie sich heimlich mit den Blicken: er, um recht zu erfassen, wer das eigentlich wäre, die Frau, die ihn so tief hatte herabziehen können. Sie dagegen wollte wissen, ob sie ihn wirklich verloren hatte, und sie fand: ‹Nein, er kommt wieder und ist mir um so sicherer, da wir seit dieser Nacht durch Schuld verbunden sind. Solange er es noch Schuld nennt, wird er den Überdruß nicht kennen. Sehr teurer Henricus›, dachte sie auf lateinisch. ‹Ungemein liebe ich dich.›

Er stand fertig da in seiner weißen Seide, nestelte an der Halskrause und sagte soldatisch kurz: «Noch heute reite ich zum Heer nach Flandern.»

«Ich will dir zu deinem Schutz einen Heiligen mitgeben», sagte sie, neigte sich seitwärts nach einem Kasten mit Büchern, ihren Gefährten, wenn kein Mann da war; nahm eins heraus, löste eine Seite und reichte sie ihm. Schön war die Hand und die Gebärde sachlich. Sehr wohl hörte sie sein mühsam bewältigtes Aufschluchzen und sah dennoch nicht mehr hin — hatte sich wieder ausgestreckt, und als er die Tür hinter sich schloß, war Margot im Einschlafen. ‹Denn durch Liebe erschöpft›, so dachte sie grade noch, ‹ist man eine verhinderte Tragödienfigur.› Sie hatte aber einen Traum.