Henri allein kehrte in den grossen Saal zurück. Diesen fand er bevölkerter als vordem, denn zugegen war das Königspaar. Karl der Neunte hatte inzwischen seine Blöße bedeckt, dafür aber war er betrunken. «Da kommt der von meiner dicken Margot!» rief er Henri entgegen. Alle bewiesen durch ihr Verhalten, daß sie ebenso wie der König von Frankreich im Bilde waren und auf die Rückkehr des Glücklichen gewartet hatten. Nur die Königin lachte nicht, so wenig wie sonst äußerte sie einen Vorgang des Geistes oder Gemüts. Niemand erinnerte sich ihrer Stimme. Elisabeth von Österreich saß erhöht und ohne Regung aufgerichtet in einem besonderen Abschnitt des großen Saales, um sie her erhielt sich Leere ganz von selbst, keine Wache mußte Zudringliche abwehren. Sie ragte in ihrem goldenen Kleid, starr und unverletzlich wie ein Heiligenbild, unmenschlich auch das Gesicht infolge dicker Schminke. Hinter ihrem breiten Rock machten zwei spanische Priester sich unsichtbar, sie selbst aber sahen alles.

Karl der Neunte hängte sich an den Arm seines Schwagers. Ihm ins Ohr, aber darum nicht leiser, sagte er einiges Unflätige, das seine eigene Schwester betraf. Henri dachte angewidert: ‹Wenn er stolpert, laß ich ihn liegen! Soll ich ihm ein Bein stellen?› Er tat es nicht, sondern gelangte allmählich an die Stelle, wohin Karl mit seiner ganzen Schwere ihn zog: der leere Umkreis der Königin.

«Dort ist sie aufgebaut», stotterte Karl, «und wirf sie mal um, wenn du kannst! Wäre sie auch schon tot, sie würde dennoch als Leiche aufrecht stehenbleiben in all ihrem Gold. Das Haus Österreich ist ein unvergänglicher Albdruck, und dies Weib, bei dem ich gelegen habe, erscheint mir dennoch im Traum mit den Zügen der Medusa, so daß mein Blut erstarrt. Die Tochter des römischen Kaisers — kann ein Mensch die heiraten, Navarra? Mein Großvater Franz der Erste hat in Ketten gelegen zu Madrid, und damit er gehen durfte, verlangte Kaiser Karls des Fünften Majestät seinen leiblichen Sohn als Geisel. Sie haben meinen Vater mißhandelt, und auf mir lasten sie vermittels der Tochter des Kaisers Maximilian. Sie halten unter ihren Absätzen ganz Europa. Ihr Gold, ihre List, ihre Armeen und ihre Priester entzweien mir das Volk und verwüsten mir das Land. Navarra!» raunte Karl der Neunte gehetzt, «räche mich! Darum geb ich dir meine Schwester. Räch mich und mein Königreich! Mir ist es verboten; ich bin ein Gefangener, der nicht einmal kämpfen durfte, und werde dahinfahren in Verzweiflung. Gedenke meiner, Navarra! Und hüte dich —» Dies stahl sich nur noch gestöhnt und kaum verständlich aus dem Mund in das Ohr. «Hüte dich vor meiner Mutter und meinem Bruder d’Anjou! Was dir aber auch zustoßen mag, künftig: gib nicht mir die Schuld, Navarra, denn ich hatte nur Furcht. Ich hatte von allen Lebenden die schaurigste Furcht.»

Plötzlich pfiff es in seiner Kehle: das war der Schrecken, hinter der Königin waren ihm zwei Paar stechender Augen begegnet — nur so kurz, als wäre es nicht wahr. Karl schwankte, er hielt sich an seinem Schwager fest, er hatte niemand als ihn auf dieser ringsum sichtbaren Stelle. Sein hugenottischer Schwager machte sich innerlich lustig, damit besiegte er das aufsteigende Grauen. Der König Karl war verstummt, und es verstummte in dem großen Saal sein ganzer Hof — was einer überwiegend feindlichen Aufmerksamkeit gleichkam. Henri fühlte es durchaus, und sein schneller Verstand bestätigte es ihm. Alle diese fanatischen Feinde seiner Religion sahen ihn ungern im Vertrauen des Königs, ihres Herrn. Seine Heirat war ihnen in Wahrheit ein Ärgernis, er hatte es nie bezweifelt, und sie mußten es äußern, sogar ungewollt. Heute befahl Dame Venus, sich zu vermischen, wer man auch war. Dennoch geschah jetzt in ihrer Masse ein Geschiebe und Gestoße; die Katholiken drängten die Protestanten bis gegen die Ränder des Saales. An der unsichtbaren Grenze aber, die um die Königin gezogen war, ballten sie selbst sich zu einem Haufen, der sehr wachsam schien.

Henri sah schnell: nur Bewaffnete — wenn auch vorerst mehr neugierig als angriffslustig. Übrigens hätten sie sich seiner nicht leicht bemächtigt: rückwärts schlossen seine Protestanten ihre Reihen, bereit vorzustoßen. Was die Edelfräulein betrifft, die waren zerstoben, von fern spähten sie, zwitschernd, weil ein Sturm aufzog.

Karl, obwohl nicht bei Sinnen, fühlte die Leere um sich her, und von der entstandenen Schwüle wurde er toll.

«Wein!» brüllte er. «Ich will mit der Königin saufen, bis sie umfällt. Ihr alle sollt zusehen. Trotz dem Gold, darin sie steckt, fällt sie um und nicht ich!»

Sie, die ihn schwerlich verstanden hatte, blieb das unbewegte Bild. Er selbst wurde auf einmal, wahrscheinlich infolge seiner Lästerung, so schwer, daß sein hugenottischer Schwager ihn nicht mehr halten konnte, beide wären gestürzt. Jemand, der herbeisprang, fing Karl grade noch auf. Henri blickte in das unerwartete Gesicht eines Herrn de Maurevert: der Haß verzerrte es. Im nächsten Augenblick drängte ein anderer ihn fort, der Herzog von Guise. «Was fällt Ihnen ein, de Maurevert», sagte er eilig. «Machen Sie, daß Sie verschwinden, ein Mensch wie Sie!» Er stützte Karl. «Faß mit an, Navarra! Der Thron ist uns anvertraut, ihm zur Seite zu stehen.»

«Dafür sind wir herbeigeritten mit unseren Edelleuten aus Lothringen und aus Bearn», fuhr Henri statt seiner fort in derselben übertriebenen Sprache, reckte sich auch wie der andere junge Herr, der hoch und blond war. Sie faßten einander ins Auge über den betrunkenen König hinweg, aber manchmal mußten sie zugreifen, wenn er absacken wollte.

«Setzt mich doch neben die Habsburgerin», flehte Karl der Neunte unter einem Tränenerguß. «Auch ich bin ein kleiner Heiliger — mehr als ihr. Denn beide habt ihr meiner dicken Margot den Rock geschürzt. Du zuerst, aber dich hat sie verlassen.» Damit fiel er gegen Henri von Guise, der ihn Henri von Navarra zuschob. «Dich behält sie», flennte er an der Brust seines Schwagers. «Sie liebt dich, ich liebe dich, unsere Mutter, Madame Catherine, liebt dich sehr.

Der Teufel», schrie er plötzlich, denn die beiden spanischen Priester erschreckten ihn nochmals: er hatte sie inzwischen vergessen. Als er aber die schwarzen Erscheinungen und ihre Blicke richtig unterschied, schien ihm vollends unheimlich zu werden. «Weiß schon, was ihr von mir wollt», stammelte er in ihre Richtung, obwohl sie sich sofort wieder unsichtbar gemacht hatten. «Weiß schon. Soll auch pünktlich geschehen. Ihr werdet es gewollt haben. Ich wasche meine Hände.»

Vorübergehend war er ernüchtert und konnte allein stehen, Lothringen und Navarra ließen ihn los. Henri, der die Hände frei bekam, sah sich um. Den Haufen an der unsichtbaren Grenze fand er verändert, nicht mehr nur neugierig oder wachsam. Drohend schob der Haufe der Katholiken sich jetzt um ihn zusammen — hin und her schwankend, weil rückwärts die Protestanten mit ihnen handgemein wurden, um nach vorn zu gelangen. Einige ihrer Führer waren auf Stühle gestiegen, nur Du Bartas befehligte sie aus seiner natürlichen Höhe. Alle schrien plötzlich durcheinander; keine königliche Gegenwart hielt sie ab, das menschliche Übereinkommen zu sprengen, und ihr Atem kündigte in wilder Vermischung die Brechung der letzten Fesseln an. Zweifellos sollte Blut fließen.

Genau in dem Zeitpunkt, als es soweit war, rührten sich hinter Elisabeth von Österreich die beiden spanischen Priester. Sie tauchten ganz und gar unter, ohne daß die Urheber zu sehen gewesen wären, begann der erhöhte Sitz der Königin mit ihr davonzuziehen. Es ging mit Stolpern und Stoßen wie eine Theatermaschine; auch die silbernen Felsen zu Beginn des Festes hatten sich nicht anders fortbewegt unter dem nackten König und allen anderen Meergöttern. Aber es ging, und glücklich verließ mit einem letzten Aufbäumen der Sitz des Hauses Habsburg dort hinten die Schwelle. Bevor die Tür darüber zuschlagen konnte, sah man grade noch den verhüllenden Teppich beiseite geschoben werden — und mühselig hervorkriechen und hochkommen die beiden spanischen Priester, denen die Zunge aus dem Hals hing.

Laut lachte der von Navarra — ein Gelächter, das kein einziger Mensch im Saal ihm ernstlich übelnehmen konnte, denn es war heiter von Grund auf. Es widerlegte alles Böse, und für den Augenblick erleichterte es jeden von seiner Streitlust.

Dies begriff mit unverzagter Geistesgegenwart ein kleiner Mann, der weit hinten auf einem Stuhl stand; manche kannten seinen Namen: Agrippa d’Aubigné. Der sang in den höchsten und lieblichsten Tönen: «Die Königin von Navarra vergießt Tränen der Erwartung auf ihrem berühmten schwarzseidenen Lager. Welcher Mensch kennt den folgenden Tag. Daher auf und begleiten wir den Bräutigam!»

Er bekam Beifall, aber der besseren Wirkung wegen ging er zu Versen über.

«Nicht fern ist uns der Tod. Erst dann ist uns gegeben
Ein Leben ohne Tod, nicht mehr ein falsches Leben.
Gerettet ist das Leben, der Tod, er ist besiegt.
Wer will nicht sicher gehn, wer möchte immer scheitern?
Wem macht die schwere Fahrt noch Lust, sie zu erweitern,
Wer ist nicht froh, wenn er zuletzt im Hafen liegt?»

Das wies auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit der Sache selbst auf, oder höchstens einen komischen: weshalb der Sänger alle zum Lachen brachte und gewonnen hatte. Karl der Neunte verkündete laut, er wollte mit seinem ganzen Hof seinen Schwager Navarra zum Beilager mit seiner Schwester geleiten. Er nahm den jungen Ehemann bei der Hand. Auf die andere Seite Navarras stellte sich Lothringen; das war die spannendste Einzelheit: der frühere Liebhaber, den neuen Gemahl zum Beilager geleitend. Daraufhin ordneten sich die Reihen, ohne Unterschied der Religion. Wer noch soeben vor dem Losschlagen gestanden hatte, gab sich eine vergnügte Frist, und der Zug begann. Er nahm unterwegs die Menge der Ehrenfräulein auf. Wo er vorbeikam, öffneten sich Türen, hochgestellte Damen glaubten nicht fehlen zu dürfen. Ältere Herren, die schon geschlafen hatten, erwachten von dem Lärm und schlössen sich an, wie sie waren. De Miossens, Erster Edelmann, schritt würdig hervor in Hemd und Pelzrock, mit unbekleideten Beinen. Wachen mit Fackeln liefen voraus und warfen Licht in die alten steinernen Gänge, fast niemand hielt noch gegenwärtig, wo er grade war, man machte die Wege mehrmals, und man sang:

«Wer will nicht sicher gehen, wer möchte immer scheitern? Wem macht die schwere Fahrt noch Lust, sie zu erweitern, Wer ist nicht froh, wenn er zuletzt im Hafen liegt?»

«Angelangt!» entschied Karl der Neunte, indessen war es eine falsche Tür. Der ganze Hof mußte sich winden in der Enge wie ein Wurm, bis die richtige erreicht war. Hier hielt Karl die letzte Ansprache an den Glücklichen. «Du bist glücklich, Navarra, denn eine Prinzessin, die erste und edelste des Abendlandes, hat für dich ihre Unschuld aufgehoben, bis du sie ihr raubst, hat in Treuen deiner geharrt, und siehe, jetzt klopfst du bei ihr an» — womit er selbst die Faust gegen das Eichenholz schlug. Seinen Schwager küßte er auf beide Wangen, und seine Tränen flossen.

Die Braut öffnete nicht, obwohl das Getöse selbst im Schlaf nicht zu überhören war. Eine Pause des Aufhorchens entstand, diese aber benutzte der Herzog von Guise, um laut zu sagen:

«Bei allen Heiligen und besonders bei Sankt Bartholomäus! Wenn ich das wäre, die Türe spränge von selbst auf, weil sie mich kennt.»

Dadurch erfuhren alle, die es noch nicht gedacht hatten, daß Guise beleidigt und zornig war. Der König von Navarra fand denn auch unschwer die Antwort.

«Sie sehen es, die Tür bleibt nur Ihretwegen fest zu, damit kein Irrtum vorkommt.»

Guise behauptete dagegen: «Nur Ihretwegen, weil sie Besseres gewöhnt ist.»

Karl der Neunte ordnete an: «Immer eins nach dem andern! Jetzt ist kein Zweikampf dran, sondern das Beilager.»

Das hinderte aber nicht, daß vor der Tür der Prinzessin Margot ihre beiden Kavaliere einander entgegentraten in einer Haltung, die auf Entscheidung drängte: den Fuß vorgestellt, den Rumpf so aufrecht wie möglich und mit äußerst wildem Gesicht. Bis hinten im Zug wurde es stiller, und die Frauen ließen sich hochheben, um sie auch zu sehen, den Navarra in weißer Seide, den Guise in blauer, wie sie sich anfauchten. Wäre er nicht der abgewiesene Freier gewesen, Guise hätte vieles vorausgehabt: die hohe Gestalt, gefährliche Geschmeidigkeit und böse helle Züge, um so erschreckender, je bezaubernder sie sonst gezeigt wurden. Indessen begegnet Navarra dem allem einfach dadurch, daß er es nachahmt. Mit seinen kleineren Maßen wird er dennoch ein großes Raubtier: er kann das. Zugleich aber macht er dasselbe Raubtier lächerlich — ganz nebenbei und doch vor allem. Reckt sich, biegt sich, setzt zum Sprung an und wird sogar hochblond, sollte man meinen, bekommt wehende gelbe Haare am Kinn, so genau ahmt er die feine nordische Aussprache Lothringens nach.

«Ich habe mit Dorfmädchen angefangen und mag jetzt nur noch die Prinzessin. Die Prinzessin hat mit Lothringen vorliebgenommen, bis sie Anspruch erhob auf Navarra.»

Noch übertriebener kann Guise selbst nicht reden, und sein großartigstes Auftreten ist von seinem Rivalen vorweggenommen: das setzt ihn außer Gefecht, nicht mitgerechnet das Gelächter der Leute. Es versucht auszubrechen, wird hier unterdrückt, dort losgelassen — plötzlich aber steht die eichene Tür offen, und die Prinzessin lacht. Sie lacht selbst, da lacht ungezügelt der ganze Hof.

«Wer ist nicht froh, wenn er zuletzt im Hafen liegt?» krächzt Karl der Neunte absichtlich heiser. Gelächter, die Prinzessin zieht ihren Gatten herein, die Tür fällt zu: Gelächter.