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Nebeneinanderlebens der sie sprechenden Stimme, in Materie und

Form, in einer so nahen Verwandschaft und in 80 vielfachen Wech-

selbeziehungen zu einander, dasz тап die Natur und das Wesen kei-

ner derselben vollstindig ergriinden Капп, ohne die iibrigen zwei mit

zu beriicksichtigen. Dies haben die Grander der neuern Sprachwis-

senschaft, Wilhelm von Humboldt, Jakob Grimm und Franz Ворр,

eingesehen und 6fentlich ausgesprochen, und тап Капп ohne Uebertrei-

bung sagen, dasz sowohl die drei genannten unsterblich verdienten Min-

ner, als auch ihre Genoszen und Mitarbeiter, namentlich Burnouf, Eich-

hof, Pott, Lassen, Schlegel и. а. zu noch weit festern und glinzen-

dern Resultaten gelangt sein wjrden, wenn ihnen das Slavische zugiin-

glicher gewesen wire, und wenn iiberhaupt die slavische Sprachfor-

schung auf slavischem Boden bis jetzt mehr:nnd griindlicher gehegt und

gepHogt worden wire. Die Anerkennung der Nothwendigkeit, das

h6here slavisehe Sprachstudium mit in den kreis der europiischen

Philologie zu ziehen, hat ohne Zweifel die Grindung von slavischen

Lehrstjhlen in Paris, Berlin und Breslau, dann in Petersburg, Moskau

und auf einigen andern russischen Universititen veranlaszt. So geneigt

тап ist, der franz6sischen und preuszischen Regierung fiir die Griin-

dung jener Lehrstiihle, schon wegen der edlen Absicht, volle Anerken-

пипд und aufrichtigen Dank zu zollen, so musz тап doch gestehen,

dasz јепе Aufgabe der Vermittlung der slayischen, germanischen und то-

manischen Spracbforschung solange entweder unerledigt bleiben oder

doch sehr unvollkommen und spit erreicht werden wird, bis sich 0ester-

reich der Sache nicht annimmt und einen Lehrstuhl fur h6here slavi-

sche Philologie nicht griindet. 0sterreich allein besitzt alle Mittel dazu;

die Natur und die Vorsehung scheinen es zur Liisung dieser Aufgabe

bestimmt zu haben. Hier in 0sterreich und nur in 0sterreich allein

werden alle Hauptmundarten des Slavischen, die b6hmische, polnische,

ruthehische, mit ihren Unterarten, der slovakischen, windischen, kroa-

tischen und serbischen, gesprochen, und Кбппеп unmittelbar aus der

lautersten, lebendigen Quelle erlernt werden; bier in 0sterreich, wel-

ches unter seinen Bewohnern дедеп vier Millionen Slaven griechischen

Ritus, unirte und nieht unirte (nimlich nahe ап drei Millionen Ru-

thenier in Galizien und Ungarn und iiber eine Million Serben in Ungarn,

Slavonien, kroatien und Dalmatien), ferner Glagoliten in Dalmatien und

Istrien, die einzigen in der ganzen Slavenwelt, zihlt, ist Gelegenheit,

die kenntnisz des kirehenslavischen und Glagolitischen aus unmittel-

barer Anschauung und so zu sagen aus dem Leben zu sch6pfen; hier

in 0sterreich ist die slavische Philologie als Wissenschaft моп selbst

und ohne alle Anregung entstanden, fndet auch jetzt, trotz der ungiin-

8tigen iuszern Verhiltnisze, ihre eifrigen Piieger, und ев bedarf nur